Clermond-Ferrand entschied sich für einen Spurbus von Lohr Industries, den "Translohr". Das System in Clermont-Ferrand wurde am 16. 10. 2006 eröffnet, bereits erste Berichte deuteten auf Probleme hin: Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h, laute Fahrgeräusche, wenig komfortables Fahrgefühl. Wegen einer Entgleisung unmittelbar vor der Eröffnung wurde das System vorübergehend stillgelegt.
Anfang Mai 2007 kam es in Padua, wo ein gleichartiges System gerade eröffnet wurde, ebenfalls zu einer Entgleisung, in diesem Fall mit schwer Verletzten. Diese Entgleisungen deuten auf ein systembedingtes Problem hin - der Anpressdruck der Führungsräder auf die Leitschiene ist begrenzt, da ja die Gummireifen das eigentliche Gewicht tragen.
Die geführten Busbahnen kombinieren die Nachteile der Straßenbahn (Kosten für den Fahrweg, eigene Trasse notwendig) mit denen der Busse (Betonfahrbahn statt Rasengleis nötig, höherer Energieverbrauch, größerer Platzbedarf für die Räder im Wagen etc). Als spezielle Vorteile des Translohr werden engere befahrbare Bögen und stärkere mögliche Steigungen angegeben; beides wird aber in Clermont-Ferrand nicht benötigt.
In den letzten Jahren wurden 20 mio Euro in die Infrastruktur investiert, lange Stilllegungsphasen waren unumgänglich; fünf weitere Translohr-Züge wurden bestellt. Trotzdem hat das System keine Zukunft, wie ein unabhängiger Bericht feststellt. Die nächsten 20 Jahre ist der Betrieb gesichert, danach wird Alshom aber weder Ersatzteile noch neue Züge liefern.
Die Bilder unten zeigen die Place Jaude: Der zentrale Platz der Stadt, auch früher Knotenpunkt der alten Straßenbahnlinien, später IV-Verkehrsknotenpunkt, verläuft in Nord-Süd-Orientierung. Schon vor dem Bau des Spurbusses wurde eine
Tiefgarage unter dem Platz angelegt, fast alle Buslinien der Stadt querten den Platz. Mit der Anlage der Busbahn wurden der verbliebene Verkehr an den Rand gelegt, der Stadtverkehr neu organisiert, heute ist der weite Platz verkehrsberuhigt. Die Bustrasse verläuft am westlichen Rand des Platzes, die anschließenden Straßen sind Fußgängerzonen, nur zwei IV-Fahrbahnen queren als Einbahnen den Platz.
In Clermont-Ferrand war ursprünglich eine klassische Straßenbahn geplant, Michelin als größter Arbeitgeber der Stadt übte massiven politischen Druck in Richtung auf ein System "sur Pneus" aus und setzte sich schließlich durch.
Der Wagen ist mit 2,20 Metern recht schmal, die Sitzaufteilung daher 2+1, wobei bei den Gelenken die etwas breiteren "Big-Mama"-Sitze verwendet werden. Entsprechend eng ist es im Gelenkbereich, dort müssen die breiten Gummireifen untergebracht werden. Die Spurführung erfolgt durch zwei schräggestellte Räder mit Spurkranz, die im 90°-Winkel zueinander stehen und seitlich in die Führungsschiene eingreifen. Das System wirkt im ganzen ausgereifter als das von Nancy bzw Caen, wo ein einziges Rad mit zwei Spurkränzen von oben auf die Schiene drückt; allerdings bedingt das auch eine relativ breite Führungsrille. Wie in Frankreich üblich ist der Türspalt hingegen vorbildlich schmal.
Für den Fahrkomfort absolut relevant ist die Ausführung der Fahrbahn; hier wurde in Clermont-Ferrand (linkes Bild) wesentlich sorgfältiger gearbeitet als in Padua (Mitte). Das rechte Bild zeigt den Fahrweg im Bereich der nördlichen Endstation Champratel; eine klassische französische Tram würde hier wohl auf Rasengleisen fahren.
Die Beurteilung, ob der Translohr eine Straßenbahn auf Gummireifen oder ein spurgeführter O-Bus ist, wird kontrovers diskutiert. In Frankreich werden solche Systeme der Tram zugeordnet; die französische Experimentierfreude führt zu solchen Lösungen, fragwürdige Entwicklungen werden dabei offensichtlich in Kauf genommen. Im konkreten Fall ist der Vorteil gegenüber einer klassischen Straßenbahn nicht nachvollziehbar, der Mehrwert für die Stadt oder den Fahrgast unklar. Die Baukosten liegen mit ca 20mio Euro/KM in ähnlichen Höhen wie bei anderen Straßenbahnsystemen in Frankreich, bei allerdings nur 33000 Fahrgästen/Werktag (zum Vergleich: in Mulhouse werden 40000/Werktag transportiert, in Montpellier 52000, bei etwa gleichen Streckenkosten).
Von allen bisher von mir besuchten "Busbahnen" ist der Fahrkomfort in Clermont-Ferrand bisher am besten, was an der sorgfältigen Ausführung der Fahrbahn liegt. Wie das in einigen Jahren, nach den ersten Ausbesserungen aussieht bleibt abzuwarten. Das Fahrzeug ist eher laut, aussen ist vor allem das typische pfeifen der Elektronik zu hören, innen vor allem das ächzen der Gelenkkonstruktion - aber doch um Klassen besser als die geführten Bahnen von Nancy und Caen. Die Spurführungsräder sind im Gegensatz zu den anderen Systemen kaum zu hören. Die Höchstgeschwindigkeit wurde zwischenzeitlich auf 60 km/h erhöht, die Beschleunigung ist dabei gut und ruckfrei. Fazit: die bisher beste Busbahn, aber immer noch ein Kompromiss, der im Vergleich zur klassischen Stahlrad-Tramway eigentlich keine Vorteile bringt.
Der Betrieb ist von schweren Pannen überschattet - am 26.12.2009 brennt ein Zug komplett aus, am 10.1.2011 wird bei einer Entgleisung eine Frau verletzt.
Inzwischen macht sich Ernüchterung breit; man scheint langsam einzusehen, dass die Systemwahl möglicherweise ein Fehler war, und beginnt laut darüber nachzudenken, auf Stahlrad-Tramway umzustellen. Spätestens 2030, wenn die wirtschaftliche Lebensdauer der Translohr-Züge endet, wird man sich darüber sowieso Gedanken machen müssen: Das System wird von der Industrie nicht mehr angeboten. All diese Probleme haben auch den weiteren Ausbau des Netzes verhindert, die vorgesehene Linie B wird nicht realisiert - all das ist Musterbeispiel für politische Fehler, die jahrzehntelang nachwirken.
Artikel zur möglichen Umstellung in La Montagne vom 14.10.2016
Alle Fotos zum Translohr von Clermont-Ferrand
Zum Vergleich: Alle Fotos vom Translohr in Padua
Spurbus Clermont-Ferrand (offizielle Seite)
Die Zukunft der Städte, Seite 162
Lage in Frankreich
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Letzte Änderung: 5.5.2020