Ähnlich der Linie T2 handelt es sich bei der Linie von Aulnay-sous-Bois nach Bondy ("Ligne des Coquetiers" - Linie der Geflügelhändler) um eine ehemalige Eisenbahnstrecke, sie verbindet zwei RER-Strecken als Tangentiale. Die Fahrplanverdichtung der von Paris kommenden RER E auf der Ostbahnstrecke machte es unmöglich, die von hier kommenden Vorortzüge weiterhin nach Paris durchzubinden. Durch den neuen Umsteigezwang sanken die Fahrgastzahlen, eine Einstellung stand im Raum. Nach dem Erfolg der T2 kam die SNCF auf den Geschmack und sah in der Umstellung auf "Tram-Train" die Chance, den Betrieb künftig kostengünstiger abzuwickeln. Die zahlreichen Bahnübergänge und die Lage der Bahntrasse im dicht verbauten Gebiet, aber auch die mögliche Reduktion der Eisenbahnsicherheitstechnik und die Verringerung der Trennwirkung führten zur Entscheidung, die Strecke als "Tram-Train" zu betreiben; seit 2006 ist sie nun in neuer Form in Betrieb.
Leider sieht die Strecke auch weiterhin sehr nach SNCF aus: Zäune trennen die Gleise von der Straße, die Fahrleitung ist vollbahnartig, dafür wird mit 30 km/h über die ampelgesicherten Bahnübergänge geschlichen. Im Gegensatz zu den durchwegs gelungenen Straßenbahnlinien ist dieser Umbau kein Aushängeschild. Auch die Siemens-Fahrzeuge sind eher "deutsch" entworfen.
2015 wurden endlich die Bauarbeiten zur Zweigstrecke nach Montfermeil begonnen, 2019 dann der erste Teil bis Arboretum eröffnet, 2020 das Hôpital de Montfermeil erreicht. Im Endausbau soll die Strecke hier eine Schleife bilden. Anlässlich der Verlängerung wurden zu den 15 Siemens-Zügen noch 15 neue Citadis Dualis bestellt, deren starkes Kurvenquietschen allerdings die Anrainer verstört.
Nach der Abzweigstation Gargan - der Oberleitungsverhau sieht fast wie bei japanischen Betrieben aus - wird es dann glücklicherweise bald zivilisierter. Die Fahrt verläuft durch unspektakuläre, sozial eher schwache Wohngebiete, auch wenn man das optisch erst am zweiten Blick wahrnimmt: Das Stadtbild wirkt gepflegt, allerdings dominieren Billigshops und deren Kunden. Die Straßenbahn wurde trotzdem bewusst in hoher Qualität gebaut, hier zeigt sich das französische Demokratieverständnis: Jeder Bürger ist gleich viel wert, jeder Bürger hat Anspruch auf die selbe Wertschätzung.
Zwischen Arboretum und Hôpital de Montfermeil durchfährt die Bahn einen engen, romantischen Straßenzug. Diese eingleisige Engstelle soll nach dem Bau der Schleife nur noch "talwärts" befahren werden. Die Citadis-Züge wirken hier ziemlich wuchtig.
Wie weit die Neugestaltung des Straßenraums geht, zeigen diese Bilder: Im Straßenbahnprojekt ist sogar der Neuanstich der angrenzenden Fassaden enthalten, nach der Baustelle sollen die Anrainer den Unterschied zu vorher deutlich wahrnehmen!
Der öffentliche Raum als nobles Wohnzimmer, mit sorgfältig gewählten Oberflächen und liebevollen Details: Der Straßenbelag als Kunsthandwerk, zeitgemäßer Städtebau weitab von Durchschnittsware.
Da die Siemens-Züge wegen der Steigungen nicht auf der Verlängerungsstrecke fahren dürfen, plant man nun deren Verschrottung - gerade mal zur Hälfte ihrer Lebensdauer. Die SNCF wollte lieber 13 weitere Citadis Dualis innerhalb ihrer 2007 abgeschlossenen Rahmenbestellung von 200 Zügen anschaffen, seit 2023 fahren nun insgesamt 26 Citadis Dualis auf der T4. Ob hier Druck der französischen Industrie bzw. politische Gründe dahinter stecken, kann ohne tieferen Einblick nur vermutet werden; angeblich ist man mit der Zuverlässigkeit der Siemens-Züge nicht zufrieden, obwohl für den täglichen Betrieb nur 8 der 15 Wagen benötigt werden.
In Europa sind diese Siemens-Avanto eine Splittergattung, es gibt sie außer auf der T4 nur noch in Mulhouse, wo sie als Tram-Train zwischen der Innenstadt und Thann unterwegs sind. Dort hat man aber anscheinend keine Probleme mit den Fahrzeugen, aber natürlich ist eine homogene Fahrzeugflotte für alle Express-Tramwaylinien des den ganzen Pariser Großraums leichter zu disponieren.
Alle Viennaslide-Fotos der Linie T4
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Letzte Änderung: 9.11.2024