Die große Bahnhofshalle
Nach tatsächlich fast jahrzehntelanger Vorfreude war es im März 2017 endlich so weit: Ich begann die Konstruktion des Herzstücks meiner Modellbahnträume, der Halle des Wiener Westbahnhofes. Nach einigen Gebäudemodellen war ich endlich so geübt, mich an dieses doch etwas größere Bauwerk heranwagen zu können. Bevor ich die ganze Halle zeichnete, begann ich mit einem Musterstück der Stirnseite, auch, um letzte Proportionen und Größenverhältnisse in 1:87 prüfen zu können.
Die Besuche in verschiedenen Archiven und das Literaturstudium hatten mich über einige Jahre immer wieder beschäftigt. Nach dieser langer Recherche ging die Zeichenarbeit durch die vielen Wiederholungen der Fassadenelemente dann schnell, und schon nach zwei Wochen stand der Bahnhof erstmals dreidimensional auf der Grundplatte!
Die Längswände habe ich in der üblichen Sandwich-Technik aufgebaut. Leider standen mir zum Planungszeitpunkt noch kaum Fotos des Innenraums zur Verfügung, daher sind einige Details der Friese nicht nachgebildet. Das Problem der fehlenden Originalpläne und Wandansichten hat mich durch das ganze Projekt begleitet, ich musste fast alles aus einem Grundrissplan und Fotos entwickeln. Die Endrisaliten der Halle sind die einzigen etwas komplizierteren Teile, und auch die sind immer noch relativ einfach: um 1910 entfernte man die ursprünglichen achteckigen Portaltürme und erstzte sie durch schlichte Wandabschlüsse, um etwas Platz auf den Bahnsteigen zu gewinnen. Die Halle war ja für die ersten kurzen Eisenbahnzüge entworfen worden, schon vor dem I. Weltkrieg waren die Züge aber deutlich länger geworden und passten nicht mehr ins Gebäude.
Hier übrigens der Trick für die kleinen Stuckdetails: einen verbindenden Steg mitkonstruieren, alles fest verkleben, dann mit der Trennscheibe wegschneiden.
Nach dem Zusammenbau konnte der "Kristallpalast" lackiert werden. Die Seitenwand ist herausnehmbar, da ja Modellbahnbetrieb in der Halle stattfindet; für Fotos kann das Stück (auf dem Bild in grau) eingesetzt werden, um die Halle in komplettem Zustand darzustellen.
Bei einem Bauwerk dieser Größe muss man bereits die Statik beachten, das Dach entwickelt seitliche Schubkräfte. Hinter dem vorderen Hallenabschluss ist daher fast unsichtbar eine Gewindestange quer eingelegt, mit einer Schraubenmutter kann ich die richtige Breite des Portals justieren (auf dem linken Bild in grau sichtbar). Die hintere Hallenwand ist kraftschlüssig mit den Längswänden verbunden. Das ganze Dach ruht auf zwei Endelementen, so kann die ganze Seitenwand entfernt werden.
Für die Verlötungen der Dachträger habe ich eine Schablone gebaut, die I-Träger sind mit den Enden stumpf aneinander gelötet - ein Fehler, wie sich später herausgestellt hat. Die Längsverstrebungen sind aus Polystyrolprofilen, sie tragen die eigentliche Verklebung mit der Dachfläche. Am rechten Bild ist das Dach für die Lackierung vorbereitet, die blauen Flächen sind Folien, hier bleibt das Dach transparent.
Über die Zugbänder der Dachkonstruktion habe ich lang nachgedacht; schlussendlich war es zu kompliziert, sie statisch wirksam auszuführen, ich hätte sie aus Messing ätzen lassen müssen, was aber enorme Flächen an Blech erfordert hätte. So habe ich sie aus Papier lasern lassen und eingeklebt. Außen wurde das Dach mit Rautendachplatten belegt, die aber leider in der Mitte jeweils unschöne Gußreste haben.
Der Originalbahnhof wurde von insgesamt vier Pavillons flankiert, zwei davon musste ich nachbilden (die anderen beiden hinter der Halle fehlen aus Platzgründen). Sie sind in der Breite geringfügig gestaucht. Wie üblich habe ich mit einem Dummy die genauen Proportionen ermittelt:
Die Gebäude entstanden dann in der üblichen Sandwich-Technik: 5mm Plexi als tragende Fassade, die herausfallenden Fensteröffnungen bilden gleichzeitig den Körper der Kastenfenster. Die beiden Fensterebenen (innen weiß, außen braun) werden mit dem 5mm-Kern verklebt und halten die Fensterklötzchen an ihrem Platz. Aus 1mm-Plexi und dünnem Karton entstehen die Aaflagen und Dekorteile (Karton, weil sich zu kleine Plexiteile beim Lasern unter der Hitze verformen).
Was mir an dem Modell ja so gut gefällt - und da meine ich nicht meine eigene Arbeit als Modellbauer - ist, dass es so typisch Wienerisch aussieht. Es ist ja ein vorgründerzeitlicher Biedermeierbau, und bei manchen noch bestehenden Häusern fällt die Ähnlichkeit der Formensprache auf: zum Beispiel bei der Rossauer Kaserne, beim Arsenal oder beim Pfarrheim auf der Lerchenfelder Straße. Trotz unterschiedlicher Volumina und Bauaufgaben sind die Ähnlichkeiten glaube ich auch für den Laien nachvollziehbar, und ich mag die viel subtilere Gestaltung als bei den Gründerzeithäusern, deren Fassadenschmuck ja oft einfach aus dem Wienerberger-Baukatalog kam. Für die Westbahnhof-Pavillons hatte ich keine Pläne, nur eher schlechte Fotos, aber die genannten Bauten haben geholfen, sich einem glaubhaften Bild anzunähern.
Nächster Schritt: Die Detaillierung. Da mein Bahnhof den Krieg überlebt hat und die Anlage in den 1950ern angesiedelt ist, gibt es paar entsprechende Insidergags :) Kopfzerbrechen mach(t)en mit die Hängelampen in der Halle; ich habe dann aus Messing Lampenschirme drehen lassen und hoffe, mit diesen die Hallenbeleuchtung glaubhaft hinzubekommen. Schwierig ist dabei die akkurate Ausrichtung.
Apropos Messing: In den Wiener Kopfbahnhöfen (für den Südbahnhof habe ich Belegfotos) gab es spezielle Prellböcke, ein Vorbild habe ich im alten Bahnhof (heute Eisenbahnmuseum) in Triest gefunden. Ich habe diese kompakten Prellböcke ätzen lassen, die Bohle ist aus MS-Profil, die Puffer von Weinert.
Ein Schock ereilte mich irgendwann im Sommer 2019: Die Halle war gerade zerlegt, das Dach lag im Regal - und ohne äußere Einwirkung ist es plötzlich zerfallen. Ich habe dann aus Messing Verstärkungen ätzen lassen (rechtes Bild), die werden eingeklebt und sollten dann stabil sein. Leider kann ich sie nicht einlöten, da die Kontruktion inzwischen mit der Plexidachfläche verklebt ist - die Hitze würde das wohl beschädigen.
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