Tramway.at Modellbau Der "Gürtelboulevard" Gründerzeithäuser und "Hotel Arena"




Schon seit Beginn meiner Anlagenkonzepte war klar, dass die klassischen Wiener Gründerzeithäuser auch mein Stadtbild dominieren mussten. Nach den bisher gebauten Objekten fühlte ich mich langsam ausreichend geübt, mich auch an diese komplexen Bauten heranzuwagen. Ein Hauptproblem war dabei: Wie kann man die Häuser zum Lampentausch öffnen, wenn sie mal fertig sind? Ich habe sie schlussendlich so aufgebaut, dass die komplizierten Rückfronten und die Feuermauern mit der Grundplatte fest verbunden, aber die Dächer und die Straßenfassade abnehmbar sind.

Nun begann die Suche nach Vorbildern. Schlussendlich entstanden drei Häuser: zwei mit baugleicher Fassadendekoration ohne konkretes Vorbild und ein Hotel - für dieses Haus habe ich ein schönes Vorbildfoto gefunden, das nicht allzu kompliziert ist, aber doch dekorativ. Das Haus steht auf der Thaliastraße und wurde im Lauf der Jahrzehnte verändert (linkes Foto). Ansonsten gibt es in Wien natürlich zahllose Vorbilder, die Gründerzeithäuser sind für Wien typisch.

Soweit die Vorderseite. Aber was spielt sich hinten ab? Dort ist es mit der Pracht meist vorbei, die Hinterhöfe sind meist grau und trist, dort stehen die Mistkübel, aber auch irgendwelche Baracken, Hinterhofwerkstätten oder sonstige Nebengebäude. Auf meiner Anlage werden die Hinterhofgrundstücke von der Bahntrasse begrenzt, der detaillierte Modellbau also ebenso wichtig. Für das Hotel habe ich diverse parasitäre Anbauten entworfen, Inspiration holte ich mir in der Christophgasse (linkes Bild); die Zugänge zu den Wohnungen erfolgen manchmal über Holzveranden, sogenannten "Pawlatschen" (Mitte). Ansonsten Stiegenhäuser, Nebengebäude, Hinterhofromantik.

Das Projekt wollte gut vorbereitet sein. Erst habe ich Testteile lasern lassen, um das bessere Material (Karton/Plexi) herauszufinden; Karton war eindeutig besser zu verarbeiten und wirft sich nicht unter der Hitze. Ich habe mir ein Gebäude von MBT (Mitte) zugelegt, um die Bautechnik zu vergleichen; recht brauchbar, aber ich wollte das noch etwas besser machen, mich vor Allem am Originalgrundriss orientieren, außerdem sind die deutschen Gründerzeithäuser innen anders aufgeteilt. Darüber hinaus musste der beleuchtete "Hotel"-Schriftzug von Anfang an in der Planung berücksichtigt werden.

Robuste Grundplatte für die Fassaden ist eine 5mm-Plexiplatte, auf die die verschiedenen Schichten aufgebaut werden. Das ging recht zügig, nach paar Stunden war alles verklebt:

Komplizierter war die Rückseite. Der Stiegenhausturm des Hotels musste auf Gehrung geschnitten werden, die vielen Verschneidungen der angesetzten Baukörper verlangten Geduld.

Das Hotel ist nach den beiden unauffälligen Gründerzeithäusern ein Blickfang. Der Hotelier hat nach einem Besuch der Ausstellung "art decoratifs" in Paris 1925 tief in die Tasche gegriffen und sein Restaurant in diesem brandneuen Stil umgestalten lassen; das Lokal hat sich irgendwie über den Krieg gerettet. Die Zimmer wurden dagegen schon länger nicht mehr renoviert, ein Stockwerk wird inzwischen sogar stundenweise vermietet - "nur vorübergehend, bis das Geschäft wieder anspringt!", meint der Besitzer. Auf der anderen Seite ist ein Nachtlokal, hier tanzt eine Dame unter dem Flackerlicht einer Faller-Leuchtiode. Die Bar bekommt noch Vorhänge um die Bühne und vor die Auslagen, man schaut ja normalerweise nicht durch große Auslagen auf die Tut.. Tit... - also, auf die Darbietung. Der Zugang zum Hotel ist mittig, die Zimmer darüber sind eher schlicht ausgestattet (hier ist dem Hotelier das Geld ausgegangen).



In den beiden Wohnhäusern ist die Einrichtung vielfältiger. Realisiert habe ich die Zimmerchen mit aus schwarzem Papier gelaserten Schachteln, die innen tapeziert und dann verklebt wurden. Kleiner Insidergag: An den Wänden hängen Pornoplakate und Landschaftsbilder eines an der Kunstakademie abgewiesenen Postkartenmalers, der sein Heil später in Deutschland gesucht hat, dessen Namen mir aber gerade entfallen ist. Wenn man genau schaut, findet man auch einige seltsame Gäste im Hoftrakt.


Jetzt aber zur Rückseite. Als der Sohn das Hotel 1950 vom Vater übernommen hat, wurde noch einmal investiert - ein Frühstücksraum wurde im Hof angebaut, in modernem Stil, mit Panoramafenstern. Aufgrund der Nachfrage wird hier inzwischen den ganzen Tag serviert, ein Hobbyeisenbahner hat den guten Blick auf das Betriebswerk Südwest entdeckt, als er im ersten Stock des Hotels Hotel zu Gast... lassen wir das. Jedenfalls verkehren seine Kumpels jetzt regelmäßig hier, was eine ständige Quelle schlüpfriger Witze ist.

Das Nebenhaus (hier betreibt Herr Plahowcz eine kleine Tankstelle) ist ein sehr armseliger Bau mit Kleinstwohnungen, das dunkle Stiegenhaus betritt man in der Durchfahrt, die Zugänge erfolgen über eine Holzpawlatschen. Nicht die beste Kundschaft wohnt hier, zwischen Benzingeruch und dem Rauch vom Betriebswerk - da hilfts auch nicht, dass der Eigentümer die Fassade nach den Kriegsschäden neu gestrichen hat (zu hell, meiner Meinung nach (grmpf))

Im Wohnhaus, das sich den Hof mit der Tankstelle teilt, muss man zwar nicht über die offene Pawlatsche, wenn man im Winter aufs Häusl muss, aber die kleine Schmiede ist auch kein feiner Nachbar. Einziger Trost: durch eine Verbindungstür im Erdgeschoß kommt man direkt in den Gastgarten des "Goldenen Pelikans", wo man seine Sorgen durch Zuführung größerer Mengen Alkohols umfassend und relativ billig vorübergehend eliminieren kann. Am nächsten Tag weiß man dann nimmer, warum man Kopfweh hat - vom Benzingeruch, dem Rauch oder den Lärm der Schmiede?

Zuletzt noch paar Details: Die Treppe der Schlosserei habe ich selbst gezeichnet und aus Messing ätzen lassen; einige der Möbel oder die Mannequins im Modegeschäft sind aus diversen 3D-Shops bei Shapeway. Im Gehsteig vor dem Hotel sind Glasziegel zur Beleuchtung des Kellers eingelassen, diese Lichtschächte wirken auf mich so urban, dass ich sie unbedingt darstellen wollte. Die Stiegenhausfenster des Hotels haben bunte Jungendstilverglasung, die habe ich einfach gezeichnet und auf Transparentpapier ausgedruckt. Wer sich fragt, warum an der Hotelhinterseite zwei Fenster mit Holz verblendet sind - da ist der Hotelier beim Montieren der Lampen leider mit dem Bohrer abgerutscht *ANFALL*

Das ganze Projekt entstand in zweimonatiger Bauzeit Anfang 2019. Ob man so viel Zeit in paar Häuser investieren will muss jeder selbst entscheiden, für mich wirkt es aber immer seltsam, wenn extrem detaillierte Kleinserien-Lokomotiven vor viel zu kleinen Plastikhäuschen herumrangieren - das Gestaltungsniveau sollte insgesamt harmonisch sein, denke ich.

Alle Fotos der Bauphase


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