Allheilmittel U-Bahn?
1969 war es endlich soweit: Am Karlsplatz wurde, hundert Jahre nach den ersten Planungen, mit dem Bau des Grundnetzes begonnen. Die Stadt versank in ein Baustellenchaos erster Güte. Links einer der damals aktuellen Netzentwürfe, der vor allem im Süden einige Schwächen aufweist. Da es etliche verschiedene Entwürfe gab, wurden gleich einige Verzweigungsmöglichkeiten mitgebaut. Die einzige dieser teuren Vorleistungen, die später wirklich benutzt wurde, war die Station der U3 am Stephansplatz, die nur rohbaumäßig fertiggestellt wurde. Zu dieser Zeit ging man davon aus, dass das U-Bahn-Netz rasch wachsen würde und die Straßenbahn eingestellt werden könne.
Hier der Gleisplan zum Netzentwurf "M" (Papier ist geduldig - Danke an David Neubauer für die Überarbeitung des Plans!)
Die siebziger Jahre waren geprägt von einem unbändigen Glauben an die Technik - sanfte Lösungen hatten keinen Platz in der Gedankenwelt der damaligen Ingenieure. Die U-Bahn wurde als modernes Allheilmittel gesehen, passte sie doch ins Konzept, in der Stadtstruktur keinen Stein auf dem anderen zu lassen; beispielsweise wurde gleichzeitig geplant, den Gürtel zur Vollautobahn auszubauen, die Stadtbahntrasse abzureißen und die angrenzenden Stadtviertel in Gewerbegebiet mit Leichtindustrie umzuwidmen. Es war die Zeit der städtebaulichen Utopien - glücklicherweise blieben von den wirren Ideen wie Passagen, Überplattungen, Kabinenbahnen und Magnetschwebebahnen schlussendlich nur die Fußgängerzonen übrig.
Schon 1973 wurde - offensichtlich konnte man das U-Bahn-Spielen gar nicht erwarten - eine Garnitur in die Tunnelbaustelle versenkt. Die Wiener konnten sich an Probefahrten durch halbfertige Baustellen erfreuen. Drei Jahre später war es dann soweit: Eine öffentliche Probestrecke nahm den Betrieb auf, die Züge pendelten zwischen Friedensbrücke und Heiligenstadt. Das Stadtbahnnetz war damit zwar entwertet, aber man war eben stolz auf das neue Spielzeug.
Am 25. Februar 1978 war dann ganz Wien auf den Beinen, um 6 Minuten U-Bahn zu feiern. Der Bürgermeister gab sich die Ehre, und nach dem ersten Zug, der mit Prominenz vollgestopft war, stürmte das gemeine Volk die Stationen. Etwa gleichzeitig wurden auch Wiens erste Fußgängerzonen, die Kärntner- und Favoritenstraße, entlang der Strecke eröffnet. Entgegen allen Befürchtungen entwickelten sich diese prächtig - unvorstellbarerweise waren die Geschäftsleute ursprünglich sehr gegen die Idee autofreier Straßen, sie befürchteten ausbleibende Kundschaft und ausgestorbene Straßen. Natürlich ist das Gegenteil eingetreten, das Problem der absterbenden Innenstadt war fast schlagartig gelöst. Die hohen Investitionen brachten nachhaltige Strukturverbesserungen und waren Startschuss für eine unglaubliche Entwicklung. Der Stein der Weisen schien gefunden, die Entwicklung Wiens vom verschlafenen Dorf zur trendigen Weltstadt begann mit Anfang der 80er Jahre. Mit der U-Bahn und der Aufhebung der Bedarfsprüfung für Gaststätten (sowas gab's tatsächlich!) entstand das "Bermudadreieck" als Keimzelle der Wiener Szene, die im folgenden Jahrzehnt die Stadt aus der Lethargie holte: Es war schick geworden, in der Innenstadt auszugehen und einzukaufen; diese neue Urbanität belebte Wien nachhaltig.