Mit der Übernahme durch die Gemeinde begann die große Zeit der Wiener Tramway. Die Elektrifizierung wurde vorangetrieben, das noch heute bestehende Liniensystem mit Zahlen und Buchstaben eingeführt. Rechts ein Plan des Stadtzentrums aus 1913 mit dem dichten Gleisnetz; in einigen Radialstraßen liegen 4 Gleise nebeneinander! Der Verkehr stieg sprunghaft an, wie diese beiden Grafiken der morgendlichen Verkehrsspitze an einem Sommertag 1903 und 1913 zeigen; die Bevölkerung hatte sich seit der letzten Jahrhundertwende immerhin fast verzehnfacht!
Die Person hinter dem enormen Erfolg war Ingenieur Ludwig Spängler, der einerseits technischen Entwicklungen sehr aufgeschlossen gegenüberstand,
die unbefriedigende Situation der Bediensteten aber nicht änderte. Eine seiner interessantesten Konstruktionen war aber leider ein Misserfolg: Die Doppelstockwagen mit niederflurigem Einstieg bewährten sich nicht: wegen der aussergewöhlichen Höhe konnten die Wagen nicht freizügig eingesetzt werden, vielleicht war auch das Missverhältnis von Kapazität zur Einstiegsbreite ein Grund. Sicherheitshalber baute man danach nur noch konventionelle Zweiachser.
Bei all diesen Erfolgen blieb ein Problem weiterhin bestehen. Die Zentrumserschließung war nach wie vor ungelöst, nur eine Stichstrecke näherte sich dem Herzen der Stadt.
Bereits damals schlug Siemens eine unterirdische Stadtquerung durch Straßenbahntunnels vor, die aber wie viele andere danach nicht ausgeführt wurde. Auch die vor der Jahrhundertwende errichtete Stadtbahn umkreist das Zentrum nur. Die Situation ist unbefriedigend, von jeder größeren Straße kommt eine Tramlinie zum Ring.
Die damalige Stadt bot ein völlig anderes Bild als heute. Abseits der belebten Geschäftsstraße glich sie einer riesigen Fußgängerzone, durch die in kurzen Abständen die Züge fuhren. Die offenen Einstiege führten zu einem Effekt wie bei einem Paternoster, eine Transportmöglichkeit ist nach wenigen Sekunden vorhanden. Diesen Eindruck kann man übrigens heute noch in der Londoner Oxford Street nachvollziehen, die dicht von den offenen Doppeldeckern befahren wird. Auch wenn diese Bilder idyllisch wirken - in krassem Gegensatz dazu steht die Lärmentwicklung.
Das heulende Quietschen der Räder in der Kurve und das donnernde Krachen beim Überfahren von Weichen und Kreuzungen mischte sich mit dem Geklacker der Pferdehufe und dem Rumpeln der Fuhrwerksräder auf dem allgegenwärtigen Kopfsteinpflaster; damals an einem Verkehrsknotenpunkt zu wohnen war wahrscheinlich nicht angenehmer als heute.
Auf den Bildern von oben nach unten: der Gürtel beim Westbahnhof, 1904 - heute die meistbefahrenste Sraße Österreichs. Anstelle der großen Parkanlage steht heute das Aufnahmegebäude der U-Bahn; das Café Westend hingegen gibt es heute noch. Die Kreuzung Währinger/Nußdorfer Straße, auch heute mit 7 Linien gut versorgt, wird etwa 1913 auch vom 3er befahren, der von der Strecke des heutigen 13A kommt und über die Friedensbrücke in den 20. Bezirk weiterfährt. Unten links: der Ring beim Schwarzenbergplatz. Der 46er wurde damals an schönen Sonntagen gerne in den Prater oder zur Donau verlängert, der 71er fährt zu seiner Endstation Ecke Walfischgasse/Kärntnerstraße.
Die Postkarte rechts stammt aus 1906; Die Kutsche des Kaisers Franz Joseph I. überholt in der äußeren Mariahilfer Straße einen offenen Tramwayzug. Der Kaiser ist auf dem Weg nach Schönbrunn, die Leute winken ihrem "Alten Herrn", wie sie ihn liebevoll nennen, zu. Auf einem Großteil dieser Strecke war, wie auch am Ring, aus ästhetischen und Sicherheitsgründen keine Oberleitung montiert. Die Züge bezogen ihren Strom aus einer in der Straße verlegten Unterleitung, die aber später wegen ihrer Kompliziertheit aufgegeben wurde.
Vor der Sezession wartet der Fahrer der Linie 61 darauf, eine größere Menge von Fahrgästen zusteigen zu lassen. Etliche davon kommen vom heute noch existierenden Naschmarkt, der 1909 noch am Karlsplatz stattfand. Es ist später Vormittag, der Trubel rechts deutet auf starken Betrieb hin. Das Gründerzeithaus links musste dem U-Bahn-Bau weichen, an seiner Stelle steht heute der neue Akademiehof von Gustav Peichl. Das helle Haus im Hintergrund beherbergt hingegen noch heute das ursprünglich von Adolf Loos gestaltete Café Museum, über dessen Gastgarten die Sonnenplanen ausgerollt sind.
Das letzte Bild zeigt den Karlsplatz 3 Jahre später, in die Gegenrichtung aufgenommen. Der Naschmarkt ist nun sichtbar, reger Verkehr deutet auf einen Werktag hin. Hinten queren Züge der "Zweier-Linie" die Strecke Kärntnerstraße-Wiedner Hauptstraße. Die abzweigenden Gleise im Vordergrund gehören der Lokalbahn Wien-Baden, die in ihren überaus eleganten Zügen sogar Kaffee ausschenkte.
Ein Jahr nach diesem Bild wurde in Sarajevo der Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand erschossen. Wien verfiel in kollektiven Hurra-Patriotismus, man zog freudig in den Rachefeldzug gegen Serbien. Dachte man ursprünglich noch an eine rasch abgeschlossene Strafexpedition, eskalierte der Konflikt bald immer mehr. Österreich taumelte in einen Weltkrieg, der auch Wien nicht von Hunger und Not verschonte. Die Straßenbahn wurde für verschiedenste Transportaufgaben herangezogen: Güterzüge brachten Kartoffeln in die Stadt und Verwundete in die Krankenhäuser.