"Wien ist eine stille Stadt. Den großstädtischen Verkehr, wie es ihn in Paris und London gibt, kennt man in Wien nicht. Man geht in den Straßen mit Vorliebe in der Mitte der Fahrbahn. Die Ringstraße ist ein großer stiller Park, der die ganze Stadt umschließt. Wenn man aufgeregt ist oder in Ruhe etwas ausdenken will, dann geht man einmal um die Ringstraße. Zuweilen rumpelt die Pferdetramway daher. Das Trappen der Pferde und das Klingeln ihrer Glöckchen ist ländlich. Von Zeit zu Zeit reitet ein Wachmann durch die Reitallee. Dann donnert ein Stellwagen über die Granitwürfel und wird ganz still, wenn er auf das Asphaltpflaster kommt, daß man nur mehr das müde Klappern der Pferdehufe hört. Dann kommt ein Fiaker, dessen leichte Pferde einen munteren Vierachteltakt aufs Pflaster klimpern. Dann schlägt eine Kirchenglocke, und dann ist es für eine Weile so ruhig, daß man den eigenen Schritt hallen hört."
So beginnt Otto Friedländer sein stimmungsvolles Buch "Letzter Glanz der Märchenstadt", das in vielen Essays die Stimmung im Wien des ausgehenden 19. Jahrhunderts beschreibt. In diese romantische Zeit fällt die Ausschreibung eines Wettbewerbes zur "Generalregulierung des gesammten Stadtgebietes": die Anlage einer Stadtbahn sollte mit einer Wienfluss- und Donaukanalregulierung abgestimmt werden. Die ständig verschmutzten Gewässer und die fehlende Kanalisation führen zu sehr ungesunden Verhältnissen in den angrenzenden Stadtteilen. Auch die durch den Abbruch des "Linienwalls" - einer Stadtmauer im Bereich des heutigen Gürtels - freiwerdende Fläche sollte neu genutzt werden.
Auch wenn die hygienischen Verhältnisse entlang der Wien trist waren, war der wilde Dschungel an den Hängen entlang der Ufer wohl eine wesentlich romantischere Umgebung als das heutige Steinbett. Das linke Bild zeigt den Wienfluss vor dem Stadtpark, das Haus links existiert noch heute; der gelbe Pavillon im Hintergrund ist der Kursalon. Das rechte Bild zeigt die Situation bei der Pilgrambrücke; bei der Rechtskurve im Hintergrund dominiert heute der Rüdigerhof die immer noch markante Stadtlandschaft.
Das rechte Bild zeigt den Karlsplatz vor Beginn der Umbauarbeiten; die Karlskirche steht umgeben von den Resten des Auwaldes am Ufer des Baches, die Brücke im Vordergrund liegt in der Achse der Wiedner Hauptstraße. Die acht Statuen, damals wegen ihrer Verschmutzung scherzhaft "Die acht
Rauchfangkehrer" genannt, stehen heute am Rathausplatz. Bunt angestrahlt, sind sie vor allem während dem alljährlichen "Eistraum" hübscher Blickfang.
Nur wenige Jahre später war von all dieser romantischen Pracht nichts mehr zu sehen. In für heutige Verhältnisse unglaublicher Schnelligkeit wurde mit der Wienflussregulierung auch das Hauptsammelkanalsystem angelegt; viele Bäche verschwanden im Untergrund, der Donaukanal wurde ebenso reguliert und die Stadtbahn angelegt. Der Beschluss zum Bau der Stadtbahn wurde im Sommer 1892 gefasst - und bereits am 9. Mai 1898 erfolgte die Eröffnung!
Die Stadtbahn wurde von Anfang an mit Dampfloks betrieben. Auch wenn spezielle Maschinen für die extremen Anforderungen entwickelt wurden, war der Betrieb mit ständigem Anfahren und Bremsen sowie den vielen Steigungen wohl überaus schwierig.
Das von der Straßenbahn unterschiedliche Tarifsystem und zu lange Intervalle sowie die Belästigung durch den Rauch machten die Stadtbahn nicht allzu beliebt. Auch die Streckenführung um die Stadt herum bzw durch die noch kaum bebauten Vororte war unattraktiv.
Die große Bekanntheit der Stadtbahn gründet nicht auf diesen vielen technischen Mängeln, sondern auf der enorm qualitätsvollen Architektur - alle Entwürfe, vom großen Stationsbauwerk bis zu kleinsten Details, stammen aus dem Büro von Otto Wagner.
Wagners bekanntester Stadtbahnbau ist zugleich der am wenigsten typische.
Am Karlsplatz entstanden zwei baugleiche Eingangspavillons, die zu jeweils einem Richtungsbahnsteig führten.
Diese Bahnsteige lagen zueinander versetzt;
hier ein Plan eines Pavillons mit der anschließenden Stiegenanlage.
Heute stehen die Pavillons merkwürdig verloren auf einem Plateau, in einem ist ein Cafe, im anderen ein kleines Museum untergebracht.
Die schöne Stahlkonstruktion wurde zu einer bloßen Hülle degradiert, durch das Fehlen des Stiegenabganges wirkt die Konstruktion nicht mehr ausgeglichen.
Durch ein Loch in der Rückfront eines Pavillons führt eine Stiege zur U-Bahn, allerdings ohne Bezug zum darübergestülpten Gebäude.
So sind die Pavillons zwar äusserlich erhalten, von der Architektur Wagners haben die Planer aber offensichtlich wenig verstanden.
Das Bild links zeigt den Pavillon noch mit dem ursprünglichen Abgang. Die mit Jugendstilmotiven verzierten Wandplatten habe
ich Jahre später auf einem Schrotthaufen nahe der Längenfeldgasse wiedergefunden. Mit dem Umbau der Gürtelstadtbahn in diesem Bereich verschwanden sie endgültig.
Wagners Bauten wurden lange Zeit geringgeschätzt; etliche schützenswerte Stationen wurden abgerissen und auch noch beim Bau der U4 verschwand mehr als notwendig. Erst bei der Revitalisierung der Vorortelinie und der Erneuerung der Gürtelstadtbahn wurde versucht, soviel wie möglich zu erhalten. Die beeindruckenden Hochstationen dieser Linien wurden liebevoll renoviert. Eine der völlig verschwundenen Stationen ist auf der untenstehenden Zeichnung zu sehen: Die Station Radetzkyplatz, an der Verbindungsbahn zwischen Landstraße und Praterstern gelegen, wurde vor einigen Jahren endgültig abgerissen, nachdem sie zuletzt einem Autohändler als Schauraum gedient hatte.
Otto Wagners Bauten heute
Der Bau der Stadtbahn in historischen Plänen
Horst Prillinger hat eine interessante Rundreise durch die erhaltenen Jugendstilstationen zusammengestellt