Problemfall Wien

In ganz Europa feiert die Straßenbahn derzeit ein furioses Comeback. In Wien verläuft die Renaissance zögerlich, obwohl gerade hier die Voraussetzungen durchaus gut wären. Es liegt in erster Linie am heute überholten Bild einer veralteten Rumpeltramway, das die Wiener aufgrund fehlender Vergleichsmöglichkeiten immer noch vor Augen haben. Bis heute fahren Hochflurfahrzeuge durch die Stadt, die Niederflurwagen lassen den Komfort und das Prestige zeitgemäßer Schienefahrzeuge vermissen, und die Geschwindigkeit ist gemächlich.

Straßenbahn in Wien Straßenbahn in Wien

Die Gründe für das Dilemma sind zahlreich. Lange galt die Straßenbahn als Auslaufmodell, die durch Busse und später U-Bahn ersetzt werden sollte. Über lange Zeit gab es enorme Investitionsrückstände, die zeitgemäße Fahrzeuge verhinderten. Bei der Eröffnung der Wiener U-Bahn 1978 waren die letzten offenen Holzkastenwagen noch in Dienst; die quietschenden, rumpelnden und zugigen Altwagen aus 1925 prägten damals das Image. Dazu kam, dass es keinerlei Bevorrangung vor dem Autoverkehr gab und lange Wartezeiten an Stationen ohne Warteraum und Fahrplan die Regel waren. Die schnelle U-Bahn, damals blitzsauber und nagelneu wurde sofort Liebkind der Wiener und auch der Politiker: Die untenstehenden Bilder wurden beide 1978 aufgenommen!

1978, Straßenbahn in Wien 1978, U-Bahn in Wien

Ein Entlohnungssystem, das Straßenbahnfahrern Fahrzeiten besser bezahlt als Pausenzeiten tat sein übriges - die starke Gewerkschaft verhindert bis heute jede echte Beschleunigung, viel zu viele Ampeln bremsen den Betrieb, und in den letzten Jahren macht sich der Investitionsrückstau bemerkbar: schadhafte Gleise bremsen die Tramway teilweise auf Schrittgeschwindigkeit. Insgesamt sind die Wiener Linien an der Oberfläche deutlich langsamer als vergleichbare Betriebe.

Die internationalen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte wurden in Wien lang verschlafen. Während in anderen Städten die Systemvorteile der Tram genutzt werden (lange Züge, schnelle Strecken, Aufwertung ganzer Straßenzüge durch modernes Styling), holt Wien nur langsam auf. Ein Beispiel: Während Klimaanlagen in jedem PKW und natürlich auch bei modernen Schienenfahrzeugen Standard sind, wurde erst die letzte Serie der ULFe ist mit Anlagen zur Temperaturabsenkung ausgerüstet - noch im Jahr 2000 mnte man, das brauche man in Wien nicht.

In vielen Städten wird die Straßenbahntrasse als willkommene Möglichkeit gesehen, das graue Straßenbild aufzubrechen. Entsprechend hoch ist die Akzeptanz und der Prestigegewinn; in Wien wurden einige der wenigen bestehenden Rasengleise wieder zubetoniert. Erst in letzter Zeit erfolgen auf politischen Druck hin Begrünungen, allerdings häufig auf eine Weise, dass man den Unwillen merkt.

Fachartikel: Rasengleise - Grüne Bänder durch Europas Städte (PDF)

Betonfahrbahn in Wien Rasengleis in Nantes

Ebenfalls völlig missverstanden wird in Wien die Bedeutung des Oberflächenverkehrsmittels für Einkaufsstraßen. Gerade Geschäftsleute kämpfen im Ausland für Straßenbahnen vor ihren Schaufenstern - ganz klar, was die Leute sehen, kaufen sie auch. Nicht so in Wien: Die Entfernung einer Tram aus einer Fußgängerzone wurde jedes Mal bejubelt. Die Ernüchterung folgte dann meist wenige Monate später... Unten Bilder aus München und Strasbourg; darunter der Columbusplatz vor wenigen Jahren und heute.

München Strasbourg
Columbusplatz mit Straßenbahn Columbusplatz heute

Die erratische Wiener Straßenbahnplanung (Artikel vom Jänner 2024, PDF)

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Letzte Änderung: 18.2.2024