Straßen für Menschen - Die Rückgewinnung der Stadt

Immer mehr Städte schränken den Raum ein, den Kraftfahrzeuge in Innenstädten benützen dürfen. Spektakuläres Aushängeschild ist dabei Paris, dessen Bürgermeisterin Anne Hidalgo das Privatauto für ein Auslaufmodell hält. Gerade Paris war in den 1970ern eine völlig verstopfte Autohölle, die damaligen Bauprojekte sahen neben der Ringautobahn eine Tunnelautobahn innerhalb der Stadt vor.

Berges de Seine

Bereits seit 2002 fand jedes Jahr "Paris Plage" (Paris-Strand) auf der im August gesperrten Uferbegleitstraße entlang der Seine statt, mit Liegewiesen, Gastgärten, Spielplätzen und anderen Aktivitäten (Design: Jean-Christophe Choblet). Die Anlage dieseser Straße war 1967 ein furchtbarer Sündenfall: die romantischen Kais an der Seine wurden dem Autoverkehr geopfert. Die sommerliche Sperre machte Lust auf mehr, und da auch oberhalb der Uferbegleitstraßen breite Bolevards entlang der Seine verlaufen, schien die Sperre machbar.


Zuerst wurde ab 2013 das südliche Straßenstück (Rive Gauche, linkes Ufer) geschlossen und den Menschen zurückgegeben; im Herbst 2016 folgte dann der zentraler liegende, 1967 eröffnete 'Voie Georges Pompidou'. Dieser Sperre ging eine erbitterte Diskussion voraus, auch der Polizeipräfekt wollte vorest nur eine probeweise Schließung zulassen. Nach Ablauf der Probefrist im April 2017 wurde aber klar, dass der Autoverkehr nur unwesentlich betroffen ist, die Sperre wurde definitiv. Der Erfolg ist gigantisch, sogar an Schlechtwettertagen ist der Bereich belebt, im Sommer ist es der Lieblingsplatz vieler Pariser geworden, trotz noch fehlender Umgestaltung. Am Rive Gauche nahe des Mussee d'Orsay gingen schwimmende Parks vor Anker, die die Seine ganz besonders erlebbar machen.

Fotos zu den 'Berges de Seine'

Sieben Plätze

2011 begann das Projekt, die Place de la Republique neu zu gestalten und den Menschen mehr Platz einzuräumen. Der rechteckige Platz, in den sechs große Boulevards einmünden, bot früher an allen Seiten breite Fahrbahnen sowie eine Querung in der Mitte, das Denkmal stand auf einer Verkehrsinsel. Nun wurde die Nordostseite für den Busverkehr reserviert, der gesamte Mittelteil ist verkehrsfrei.

Bei der Umgestaltung musste auf die unterschiedlichen Ansprüche Rücksicht genommen werden: Die Place de la Republique ist der Versammlungsort und Startpunkt für Kundgebungen ebenso wie Freizeit- und Pausenplatz zu allen Tageszeiten. Dem entsprechend wurde der Platz mit wenig Vorgaben gestaltet, tagsüber können Kleinmöbel und Brettspiele an einem Pavillon ausgeliehen werden, wenn keine Großveranstaltungen anstehen.

Der nächste Schritt war dann die Ankündigung, weitere sieben Plätze umzugestalten:

Bastille
Gambetta
Madeleine
Nation
Place des Fetes
Place d'Italie
Place Pantheon - gerüchteweise könnte dieser Umbau abgesagt werden

2017 begann die Ideensammlung, 2018 die ersten Bauarbeiten. Allen Projekten gemeinsam ist, dass der Platz für Fuß- und Radverkehr vergrößert und der Autoverkehr reduziert wird. Allerdings ist nicht alles so glorios wie anfangs erwartet, manches wirkt deutlich zu sparsam; bei Madeleine oder Pantheon wäre deutlich mehr möglich gewesen.

Bildersammlung zu den Platzumbauten



Oben: Place de la Nation vor dem Umbau, CC Wikipedia / Francoise de Gandi, www.lebardegandi.net
Unten: Nach dem Umbau, Foto: Stadt Paris




Paris respire



"Paris respire", Paris atmet auf - seit 1995 werden Sonntags Stadtteile für den Autoverkehr gesperrt und zu Fußgängerzonen umgewandelt. Die Sperre erfolgt dabei mit physischen Barrieren, oft durch die Polizei bewacht. Anrainer dürfen an definierten Stellen einfahren. Welche Bereiche gesperrt werden, ändert sich unter anderem ja nach Jahreszeit. Ganz großes Highlight für die Pariser ist die Champs-Elysees, die seit 2017 jeden ersten Sonntag im Monat verkehrsfrei gemacht wird.

Mehr Raum, weniger (Park-) Platz

Bisher war das Schulbewusstsein der Autofahrer wenig ausgeprägt: Nur 30% haben die Parkgebühren bezahlt, die für die Überwachung zuständige Polizei hatte meist wichtigeres zu tun, die Strafen mit nur 17,- gering. Ab 2018 wird das geändert: Die Parkraumüberwachung wandert in die Kompetenz der Kommunen, die dann wie z.B. in Wien eigene "Parksheriffs" engagieren können. Im Stadtbereich Paris soll es künftig keine kostenlosen Parkplätze mehr geben, darüber hinaus werden die Stellplätze auf der Straße ständig reduziert.

Mehr dazu im Artikel Parkraumbewirtschaftung


Plan de deplacements urbains Ile-de-France

Artikel im Figaro: Parkplätze zu Miniparks - die Autofahrerclubs toben

Auch Gent hat die Innenstadt verkehrsberuhigt

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Letzte Änderung: 21.12.2019