Der erste April 2003 sah die Präsentation eines tollen Gerätes, das sich die Wiener Linien angeblich einfallen liessen... Ansich sind solche elektronischen Bezahlsysteme anderorts ja schon in Erprobung, ich überlegte, wie soetwas aussehen würde, wenn es in Wien gemacht würde. Offensichtlich relativ glaubhaft, wie manche Reaktionen zeigten :-)
Nach den großen Erfolgen mit dem nun fast flächendeckend in Echtbetrieb befindlichen RBL (Rechnergestütztes Betriebsleitsystem) arbeiten die Wiener Linien nun seit kurzem an einem neuen Projekt, das den international anerkannten Vorsprung der Wiener Linien weiter festigen soll. Es handelt sich hierbei um den "UBahnPayScout", ein "elektronisches Ticket", das den Fahrgast künftig von den umständlichen Manipulationen am Fahrscheinautomaten befreien soll. Das von den Wiener Linien wie üblich vollständig in Eigenregie entwickelte System zeichnet sich vor allem durch Robustheit aus. "Die in anderen Städten eingesetzten Systeme sind in Wien nur bedingt anwendbar", so der Projektleiter. "Wir setzen lieber weiterhin auf möglichst vollständige Eigenentwicklungen, auch in Hinblick auf die künftige Organisation der einzelnen Abteilungen als Profit-Centers; so können wir die höchstmögliche Wertschöpfung erzielen und sichern auch noch Wiener Arbeitsplätze!"
Zum konkreten Projekt: Das System besteht aus ortsfesten Geräten, die die Abbuchung des für den Kunden optimalen Fahrpreises durchführen, und einem kleinen Handgerät. Das System ist als Prepaid-System konzipiert, das heisst, der Kunde lädt einen beliebigen Betrag auf sein Gerät, von dem die Fahrtspesen dann abgebucht werden. Vorläufig kann dieser Vorgang nur im Gebührenreferat in Erdberg durchgeführt werden, die Wiener Linien planen aber, spätestens zur Eröffnung der U2 nach Aspern die wichtigsten Vorverkaufsstellen mit Ladestationen ausgerüstet zu haben.
Zum Bezahlvorgang selbst: beim Passieren der Sperren muss der Kunde seinen UBahnPayScout kurz in den Automaten einführen. Dabei vereinfacht die eindeutig festgelegte Einsteckrichtung den Vorgang, der Fahrgast kann also nichts falsch machen. Nach nur wenigen Sekunden des Datenaustausches ist der Vorgang abgeschlossen. Der Kunde kann nun seine Fahrt antreten, ohne sich weiter um die Fahrscheinautomaten oder Entwerter kümmern zu müssen. Am Zielpunkt seiner Fahrt steckt der Kunde den PayScout erneut in den entsprechenden Aufnahmeschlitz, der günstigste Fahrpreis wird errechnet, der Betrag wird der PayScout-Einheit abgebucht. In Bussen wird das Lesegerät anstelle der früheren Fahrscheinautomaten eingebaut. Um Missbräuche zu vermeiden, besitzt der PayScout ein hochmodernes Analysefeld, das mittels Fingerabdruck sicherstellt, dass das Gerät nur vom rechtmäßigen Besitzer in Betrieb genommen werden kann.
Von Fachleuten kommt allerdings auch Kritik: das System sei für den Alltagsbetrieb zu kompliziert, ausserdem arbeiten in anderen Städten solche Systeme berührungslos; darüber hinaus sei der PayScout zu unhandlich. Die Wiener Linien weisen die Kritik als unhaltbar zurück: "Wir haben schon bei den Restwartezeitanzeigen - nach nur wenigen Jahren Test- und Entwicklungsphase wurde diese schon an mehreren Stellen des Straßenbahnnetzes montiert - gezeigt, dass Eigenentwicklungen zu bevorzugen sind. Unsere Kunden bevorzugen Zuverlässigkeit, und es ist ihnen zuzumuten sich ein wenig Zeit für den Bezahlvorgang mittels PayScout zu nehmen. Immerhin nehmen sie an einem der modernsten Europäischen Ticketing-Feldversuche teil!"
Soweit der Artikel. Michael H. gebührt die Ehre, den Thread in at.verkehr.bahn eröffnet zu haben:
>> Von Fachleuten kommt allerdings auch Kritik: das System sei für den
>> Alltagsbetrieb zu kompliziert, ausserdem arbeiten in anderen Städten solche
>> Systeme berührungslos; darüber hinaus sei der PayScout zu unhandlich.
>Das Ding ist größer als ein Handy. Glauben die wirklich, dass die Leute
>mit so einem Prügel durch die Gegend rennen?
>> Die
>> Wiener Linien weisen die Kritik als unhaltbar zurück: "Wir haben schon bei
>> den Restwartezeitanzeigen - nach nur wenigen Jahren Test- und
>> Entwicklungsphase wurde diese schon an mehreren Stellen des
>> Straßenbahnnetzes montiert - gezeigt, dass Eigenentwicklungen zu bevorzugen
>> sind.
>Äh... und was ist an denen besser als an den Anzeigen in anderen
>Städten? Dass sie weniger Information bieten? Dass die Zeiten nie
>stimmen? Dass es sie nur an ausgewählten Stationen gibt?
>> Unsere Kunden bevorzugen Zuverlässigkeit, und es ist ihnen zuzumuten
>> sich ein wenig Zeit für den Bezahlvorgang mittels PayScout zu nehmen.
>> Immerhin nehmen sie an einem der modernsten Europäischen
>> Ticketing-Feldversuche teil!"
>Stolz simma auf unsere Wiener Linien.
>LG M
Es ist ja erschreckend, dass der selbstgefällige Ton der Presseaussendung von vielen durchaus als typischer Wiener-Linien-Stil akzeptiert wurde... Auch der folgende Kommentar lässt die Sorge um reibungslose Abwicklung erkennen:
> Muß lässig sein, vorallem in der Früh.
> Ich muß G.E. voll zustimmen, das ist wirklich ein Rückschritt, eine
> berührungslose Skidata-Technologie (Swatch Key Watch) wäre viel sinnvoller
> gewesen. Aber wie auch immer, was mich stört sind die Schranken. Wieviele
> wird es geben pro Station? Was machen Zeitkartenbesitzer, usw...?
Clemens kratzte gerade noch die Kurve:
> Fast haettest du es geschafft, fast... ;)
> Ich wollte das ganze schon erbost kommentieren, war aber dann
> doch zu faul dazu.
> Allerdings: Ich trau's ihnen zu, dasz die Wiener-Linien genauso
> handeln und argumentieren. Darum ist der Text aber so glaubwuerdig.
> Gratuliere jedenfalls zu dieser schoenen Geschichte! ;-)
Na, ich bin jedenfalls neugierig, was sich die "Wiener Linien" nächstes Jahr einfallen lassen - obwohl die Realität in Wien die wildesten Aprilscherze ja übertrifft. Nun ist zB geplant, die U2 ins Arsenal zu verlängern - wieder am geplanten Zentralbahnhof vorbei...