Die Geschichte der Wiener Hauptbahnhöfe: Der erste Westbahnhof

Eine Artikelserie von Michael Suda



Lage:

Im 15. Bezirk (Rudolfsheim-Fünfhaus) zwischen Europaplatz / Neubaugürtel, Felberstraße und Langauergasse / Gasgasse. Topographisch liegt der Bahnhof am Südhang der Schmelzhöhe, die gegen das Wiental und Schönbrunn hin abfällt. Wie bis 1870 allgemein üblich, liegt er an der Gürtelaußenseite, demnach "vorstädtig" bzw. "vor der Linie". Der Westbahnhof ist durch die Mariahilfer Straße, die sich zur wichtigsten Geschäftsstraße Wiens entwickelte und schon damals die Hauptausfallstraße nach Westen war, mit dem Stadtzentrum verbunden.

Name:

Wie gehabt hieß der Bahnhof im Sprachgebrauch der Kaiserin Elisabeth-Bahn (KEB), deren Ausgangsbahnhof er war, anfangs nur "Wien" bzw "Wien Station", wovon sich angeblich die bis heute geltende bahnamtliche Kurzbezeichnung "Ws" ableitet. Sehr schnell bürgerte sich allerdings für die KEB die Kurzbezeichnung "Westbahn" ein. Im Baedeker Österreich von 1872 findet sich im Stadtplan die Bezeichnung "Kaiserin Elisabeth-Westbahnhof". Schon im Artaria-Stadtplan von 1860, in dem der Bahnhof eine der neueren kartographischen Ergänzungen darstellen muss, ist dem Namen der neuen Bahnlinie "k.k. priv. Kaiserin Elisabeth Eisenbahn" in Klammer ein "West-Bahn" beigefügt. Im Freytag-Berndt Stadtplan, Ausgabe 1898, findet sich nur mehr die heutige Bezeichnung "Westbahnhof". Man kann also annehmen, dass die Kaiserin spätestens mit der Übernahme der Bahn ins Staatseigentum 1884 und der folgenden Liquidation der KEB-Aktiengesellschaft aus dem Stationsnamen endgültig verschwunden sein wird.

Streckengeschichte:

Die ersten Konzepte für die Errichtung eines Eisenbahnnetzes in der Habsburgermonarchie glaubten noch ohne Verbindung von Wien nach Westen auskommen zu können. Ausgehend von den Ideen F.X. Riepls für eine Bahn von den galizischen Salzbergwerken über die mährisch-schlesischen Kohlengruben nach Wien und von Wien südwärts zur Adria in Triest, war man auf die Schaffung von Nord-Süd-Verbindungen konzentriert. Es ging schon damals um den Umschlag und Transport von Massengütern: Kohle, Salz, Eisenerz, Vieh oder landwirtschaftliche Produkte in großer Quantität schienen allein das notwendige Verkehrsaufkommen zu gewährleisten, um den Aufwand eines Bahnbaus rechtfertigen zu können. Die westösterreichischen Alpenländer und die benachbarten Teile Bayerns hatten aus dieser Perspektive (agrarisch kleinbäuerlich, Bodenschätze kaum nennenswert, Industrie null) scheinbar keine Chance, jemals eine Eisenbahn zu erhalten. Und der Personenverkehr erschien in einer Zeit, als kaum jemand reisen musste und die, die es wollten, vor 1848 eine Polizeierlaubnis für einen Ausflug von Wien etwa nach Gänserndorf einzuholen verpflichtet waren, bestenfalls für die fünfte Null hinterm Komma in der Ertragsrechnung einer Bahngesellschaft gut zu sein. Aus der Sicht der Techniker und Ökonomen des Vormärz genügte von Wien Richtung Westen der Schifffahrtsweg der Donau mit dem neu eingerichteten Dampfschiffsverkehr der DDSG.

Doch die Eisenbahn wurde - entgegen manch Unkenrufen und skeptischen kaufmännischen Kalkulationen -, wie man in Kreisen der Werbeindustrie sagen würde, zu einem "Selbstläufer". Der Bahnbau wirkte allgemein belebend auf die Industrialisierung und zog Betriebsgründer förmlich an. Der Arbeitskräftebedarf der neuen Industrien zwang den Staat zur Beendigung der rigiden Reisevorschriften - und, nebenbei bemerkt, 1859 auch zur endgültigen Beseitigung der alten, zünftischen Gewerbeordnung. Die Kostenvorteile der Schiene zogen immer mehr Warentransporte an, so dass viele Verkehrsprognosen gleich mehrfach übertroffen wurden. Ein wirtschaftliches Phänomen, das wir heute in vielfacher Form kennen, wäre hier erstmals in epischer Breite zu beschreiben: das Angebot, das sich selbst die Nachfrage schuf. Mit der endgültigen Liberalisierung des Bahnbaus in Folge des Abverkaufs der Staatsbahnen (1854 - 1859) und der Erlassung des Eisenbahnkonzessionsgesetzes 1854, begannen sich Investorenkreise auch für die Westroute zu interessieren.



Dazu kam eine nicht zu unterschätzende politische Komponente: Die Außenpolitik der österreichischen Monarchie war nach 1848 zu einem wesentlichen Teil auf die Erhaltung der Vormachtstellung in Deutschland gerichtet, die durch den Status als Präsidialmacht des konföderativen Deutschen Bundes verkörpert wurde. Als natürlichen Verbündeten bei dieser Bestrebung sah man das Königreich Bayern, als mächtigen Rivalen Preußen. Bayern war den Habsburgern schon allein wegen seines Katholizismus um Häuser sympathischer als das protestantische Preußen. Bayern verfolgte nun schon vor 1848 eine Politik der Förderung der Eisenbahn. Nach 1848 drängte die bayerische Regierung massiv auf die Herstellung einer Eisenbahnverbindung zwischen Wien und München. Bereits 1851 wurde ein Grundsatzübereinkommen zwischen den jeweiligen Regierungen getroffen, doch verzögerte sich die Konkretisierung als Folge des Scheiterns des Staatsbahnsystems in Österreich. 1856 wurde die Trassenführung festgelegt: der Zusammenschluss der Bahnnetze Österreichs und Bayerns sollte in Salzburg in Richtung München und in Passau in Richtung Regensburg, Nürnberg und Frankfurt am Main hergestellt werden. Die Konzession für diese Strecken, für deren Bau der Wiener Großkaufmann Hermann D. Lindheim bereits seit Oktober 1854 eine Vorkonzession besaß, wurde der Finanzgruppe um Lindheim am 8. 2. 1856 verliehen, die sie einige Monate später auf eine neu gegründete Aktiengesellschaft übertrug. Als Ausdruck nicht zuletzt der politischen Bedeutung des Projekts wurde der Gesellschaft gestattet, die Bahn nach der aus Bayern stammenden Kaiserin zu benennen. Im Sommer 1856 begann der Bahnbau, die Strecke Wien - Linz wurde am Namenstag der Kaiserin, dem 19. 11. 1858, auf dem Penzinger Bahnhof (wohl wegen der Nähe zum Schloss Schönbrunn) feierlich kirchlich eingeweiht, und am 21. 11. 1858 erfolgte die "weltliche" Eröffnungsfahrt. Am 15. Dezember dieses Jahres wurde endlich der öffentliche, fahrplanmäßige Verkehr aufgenommen. Am 12. August 1860 wurde in Anwesenheit des Kaisers von Österreich und des Königs von Bayern auf dem Salzburger Hauptbahnhof die Vollendung der Bahnverbindung Wien - München gefeiert.



Der Kaiserin Elisabeth-Bahn (KEB) war nur ein bescheidener wirtschaftlicher Erfolg beschieden. Im Vertrauen auf die Hochkonjunktur nach 1867 hatte sie die Konzession für die aufwändig zu trassierenden Bahnstrecken Salzburg - Zell am See - Saalfelden - Wörgl (Gisela-Bahn bzw. Salzburg-Tiroler-Bahn) und Bischofshofen - Selzthal erworben. Als diese Bahnen 1875 vollendet waren, war die Konjunktur nach dem Börsenkrach von 1873 eingebrochen und die KEB, die nun kein neues Kapital mehr über die Börse beschaffen konnte, in eine schwere Finanzkrise geschlittert. Am 1. Jänner 1881 übergab sie den Betrieb als eine der ersten Gesellschaften an die neu- bzw. wiedergegründete Staatsbahnverwaltung (k.k.StB.), per 24. 6. 1884 wurde das Eisenbahnvermögen der KEB verstaatlicht und die Gesellschaft anschließend liquidiert.



Der erste Westbahnhof 1858 - 1945/49:

Der KEB wurde nicht, wie ursprünglich beabsichtigt, erlaubt, ihre Bahn von Wien durch das Donautal nach Westen zu führen. Statt dessen wurde eine Trasse quer durch den Wienerwald, das Wiental aufwärts bis Rekawinkel und entlang des Anzbachs bis Neulengbach abgesteckt. Damit stand für den Bahnhof ein Standort im Westen des Wiener Stadtgebiets fest. Der dann bestimmte Platz erwies sich langfristig als ausgezeichnete Wahl. Von der Mariahilfer Linie, dem Durchbruch der Mariahilfer Straße durch den Linienwall, aus gesehen, stand der Bahnhof auf einer leichten Anhöhe. Dementsprechend war seine architektonische Wirkung auf eine Annäherung von Südosten her berechnet. Weiters muss man sich vor Augen halten, dass die Grundstücke an der heutigen Ecke Europaplatz/(Äußere) Mariahilfer Straße damals noch nicht verbaut waren. Auf dem bekannten Foto von Groll aus dem Jahr 1860 (zu sehen z.B. derzeit bis 29. 10. in der Fotoausstellung "Blickfänge" im Historischen Museum der Stadt Wien), das den Westbahnhof von einem Standort südlich der Kreuzung Gürtel/Mariahilfer Straße zeigt, erkennt man, dass die Haupt- und Repräsentationsfassade des Bahnhofs die Südseite (Abfahrtsseite) entlang der heutigen Langauergasse war. Durch die Verbauung dieses Blicks ging schon in den Jahren vor 1900 ein Gutteil der optischen Wirkung des Bauwerks verloren. Der erste Westbahnhof wurde vom Bahnarchitekten Moritz Löhr entworfen und gliederte sich in vier Haupttrakte, deren optischer Zusammenhalt allerdings nicht völlig geglückt war, und die dementsprechend etwas inhomogen wirkten. Der Baustil kann am besten als "romantischer Rundbogenstil" beschrieben werden, der sich in der Formensprache der mittelalterlichen Romanik und der Renaissance bediente. Zentrales Element war die Bahnsteighalle. Sie war 164 Meter lang und ursprünglich bescheidene 27,2 Meter breit, was für vier Gleise (ohne ausgeprägte Zungenbahnsteige) ausreichte. Gedeckt war sie mit einem eisernen Zeltdach mit Trägern nach System Polonceau. An der Ausfahrt war die Halle von zwei markanten Türmen mit quadratischem Sockel und achteckigem Aufsatz flankiert. Am östlichen Ende grenzte die Halle an das Verwaltungsgebäude der KEB, einen zweistöckigen Bürobau mit relativ flachem Dach, an dessen vier Ecken das Turmmotiv der Hallenausfahrt wiederholt wurde. Zu beiden Seiten der Halle standen Trakte, die genausogut als vollständige Stationsgebäude eines größeren Durchgangsbahnhofs hätten gelten können. Die Abfahrtsseite bestand aus zwei zweistöckigen Büroblöcken, einer repräsentativen Eingangshalle mit Freitreppe, drei großen Bögen auf Säulen und Statuen auf den Dach, und niedrigen Verbindungstrakten. Hinter diesem Portal lag die Kassenhalle. Auf der Ankunftsseite - der heutigen Felberstraße zugewandt - wiederholte sich diese Baugliederung mit folgenden Abweichungen: die Bauten wirkten durch Verzicht auf einen erhöhten Sockel niedriger, der Mitteltrakt war deutlich kleiner und niedriger und an der Außenseite der Verbindungstrakte befanden sich Arkaden, um ein wettergeschütztes Warten auf Fiaker und andere Fuhrwerke zu ermöglichen. Die einzelnen Bahnhofstrakte wirkten, wie schon erwähnt, etwas beziehungslos nebeneinander gesetzt. Im Winkel zwischen Kopf-Bürotrakt und Abfahrtstrakt befand sich der Gastgarten des Restaurants (Räume im Erdgeschoß des Ostflügels des Abfahrtstrakts). Zwischen Halle und Ankunfts- wie Abfahrtstrakt befand sich relativ viel unbebauter Raum (Innenhöfe), was für die spätere Baugeschichte noch Bedeutung haben wird.

Durch die Verbauung der Grundstücke an der Ecke Europaplatz/Äußere Mariahilfer Straße, vermutlich im Zuge der Anlegung der Gürtelstraße, wurde der Blick auf die Fassade des Abfahrtstraktes stark eingeschränkt, aus Richtung Stadt kommend fiel der Blick jetzt nur mehr auf den Kopf-Bürotrakt. Die Zufahrt zum Bahnhof erfolgte nun von der äußeren Gürtelfahrbahn über die verlängerte (heutige) Langauergasse bzw. von der Äußeren Mariahilferstraße über die kurze Gerstnerstraße, die genau die Mittelachse des Abfahrtstraktes mit dem Haupteingang markiert. Um etwa 1890 begann es betrieblich im Westbahnhof auf Grund des stark ansteigenden Reiseverkehrs eng zu werden. Der Bau der Stadtbahn - für die Gürtellinie entstand an der Auffahrt Langauergasse die Einschnittstation "Westbahnhof-Mariahilfer Straße" - brachte 1898/1900 noch einmal Entlastung, da nun zusätzlicher Regionalverkehr über die Wiental- und die Gürtellinie in der Stadt verteilt werden konnte. Auch da die Stadtbahn betrieblich nicht ganz der erwünschte Erfolg wurde, war die Entlastung schnell wieder verpufft. 1910/12 führte man daher einen Umbau durch, bei dem Türme an der Ausfahrt entfernt wurden. Die Länge der Halle verkürzte sich dabei um einige Meter. Zusätzlich wurden überdachte Bahnsteige und Abfahrtsgleise im Vorfeld zu beiden Seiten der Hallengleise errichtet, sodass man vermutlich auf vier Hallen- und sechs Aussengleise kam. Pläne zür einen wirklich wirksamen Umbau kamen leider nie zur Ausführung.





In dieser Form bestand der Westbahnhof, seit 1918 völlig unbestritten der wichtigste Wiener Fernbahnhof, dann unverändert bis in den zweiten Weltkrieg. Nach Bombentreffern wurde der Bahnhof durch einen Großbrand während der Kämpfe um Wien im April 1945 verwüstet. Das Hallendach wurde dabei irreparabel beschädigt und stürzte ein, die Reste wurden sofort nach Kriegsende beseitigt, Schrottmetall war damals ohnehin kostbar. Die übrigen traurigen Reste wurden noch provisorisch für den Bahnbetrieb adaptiert, dann fiel sehr schnell die Entscheidung, den Westbahnhof im Zusammenhang mit der Elektrifizierung der Westbahn neu zu bauen. 1949 wurde daher begonnen, die Ruine des alten Westbahnhofs abzutragen.

Historische Bildersammlung Westbahnhof

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