Nicht nur in Paris breitet sich ein Trend aus: Neue traditionelle Architektur. Viele Menschen haben die Nase voll von gesichtslosen Betonklötzen und sehnen sich nach klassischen und schönen Gebäuden; der Trend hat in Le Plessis-Robinson begonnen und wurde inzwischen zu einer breiten Bewegung. Und während die Architekten die Nase rümpfen, sind die neuen traditionellen Stadtteile der Renner bei den Wohnungskäufern: Es sind Stadtviertel, die sich "richtig" anfühlen, mit guter innerer Erschließung, ablesbaren Funktionen und üblicherweise weitgehend verkehrsfrei.
Le Plessis - Robinson
In den 1930er-Jahren entstand um den Schlosspark von Plessis eine Gartenstadt nach englischem Vorbild. Nach dem Zweiten Weltkrieg stellten die Kommunisten für Jahrzehnte den Bürgermeister; die Freiflächen füllten sich mit Sozialwohnblocks, die ab der Wirtschaftskrise der 1970er-Jahre nicht mehr ausreichend gepflegt wurden. Im Sommer 1989 wurde der konservative Philippe Pemezec zum Bürgermeister gewählt, Gegner der modernen Architektur: Er startete den radikalen Umbau. Das Konzept stammte von Francois Spoerry, Verfechter des klassischen Städtebaus und Mitbegründer des Trends „New Traditional Architecture“. Sein erstes derartiges Projekt war Port Grimaud an der Côte d’Azur, ein romantisches „Neu-Venedig“ in bewusst volkstümlich historisierendem Stil. Für das abgeräumte Grundstück um das historische Schloss von Plessis-Robinson entwarf er ein kleinstädtisches Straßennetz; sein Nachfolger, Xavier Bohl, bebaute die 15 Hektar mit Postamt, Schule, Marktplatz inklusive Stadttor. Dabei ermöglicht gerade die Größe der freigemachten Flächen die neue Struktur: Nur so können ganze Stadtviertel auf einmal neu geformt werden. Der Stil ist nicht immer ganz trittsicher, auch fehlt die augenzwinkernde Selbstironie der Postmoderne, was besonders an den Übergängen zum Altbestand merkbar ist, aber es ist eine lebendige Kleinstadt entstanden, die das hält, was die Computervisualisierungen modernistischer Projekte nur versprechen.
Artikel im Spectrum der Presse: Auf der Suche nach dem verlorenen Idyll
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Projekt Plessis Capitales
Nach dem Erfolg von Le Plessis-Robinson folgten Baukonzerne dem Trend und ließen die Phantasie spielen - teilweise zu sehr, manche Projekte sind optisch unruhige Kitschburgen, wie das 2022/2023 bezogene Projekt "Capitales" an der Umgehungsstraße von Le Plessis. Die Idee, die typische Architektur europäischer Hauptstädte auf engem Raum zu konzentrieren, schuf eine bunte Karikatur. Auf den Industriebrachen der Gegend sind weitere ähnliche Wohnanlagen geplant.
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Clamart
Clamart ist eine zu Plessis benachbarte Gemeinde, die Hauptachse ist eine Ausfallstraße ausgehend von der Pariser Stadtgrenze. Sie hatte etwa den Charakter der Wiener Triester Straße: Industrie, Reste alter Bebauung, dzwischen Plattenbauten oder Autohändler. Der Bürgermeister von Clamart ließ sich inspirieren und will die Straße über die ganze Länge mit urbanen Projekten "aufforsten". Zwei davon sind "Clamart Beau Rivage" (obere drei Bilder) und "Clamart Plaine Sud" (darunter), ersteres eine "Seestadt" mit klassizistischer Bebauung, zweiteres eine eher kompakte Stadt mit Bauten im Stil des Neo Art deco.
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Chessy / Serris
In Chessy liegt das Eurodisney-Resort, und Um ein gigantisches Einkaufszentrum ("Val d'Europe") werden neue Stadtteile entwickelt, teilweise unter Beteiligung des Disney-Konzerns. Dabei ist der Bereich westlich des EKZ und der Schnellbahnstation im Stil des Neo-Art-deco gehalten, das Areal östlich entsteht in traditioneller Architektur. Auffallend auch hier die Anmutung, als wäre die Stadt "schon immer da gewesen". Es soll eine 15-Minuten-Stadt sein, mit allen notwendigen Einrichtungen in Gehdistanz, allerdings ist das EKZ neben der Bahnstation ein möglicherweise zu starker Magnet für Handelseinrichtungen und Gastronomie.
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Deutschland
Auch in Deutschland ist die Idee inzwischen angekommen, dass Wohnhäuser auch wieder schön sein dürfen. Allerdings sind es hier üblicherweise Einzelprojekte für den gehobenen Mittelstand, wie hier in Berlin; einheitlich nach diesem Konzept gebaute Neubau-Stadtviertel gibt es noch nicht wirklich.
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Letzte Änderung: 13.8.2024