Reisen in Vollendung: Die Zeit der großen Luxuszüge




Zum ausgehenden 19. Jahrhundert entwickelt ein Unternehmen seinen bis heute legendären Ruf: Die Compagnie Internationale des Wagons-Lits.

Es war ein junger Belgier, der nach einer Amerikareise so beeindruckt von den bequemen Pullman-Wagen war, dass er ähnliches in Europa versuchen wollte: Georges Nagelmackers überzeugte Bahngesellschaften vom Nutzen, Schlaf- und Speisewagen in ihren Zügen mitzuführen und erarbeitete sich rasch das Monopol auf derartige Leistungen. Vom Erfolg beflügelt, wagt er rasch den nächsten Schritt, und schon bald rollte der erste nur aus Nagelmackers eigenen Wagen zusammengestellte Luxuszug von Paris Richtung Konstantinopel.

Um die Jahrhundertwende ist die Eisenbahn das wichtigste Landverkehrsmittel. In den nächsten Jahrzehnten erreichen die Dampflokomotiven den Höhepunkt ihrer technischen Entwicklung, das Auto spielt als Konkurrenz noch keine Rolle, gut ausgebaute Fernstraßen gibt es nicht. Immer mehr eigene Züge führt die Internationale Schlafwagengesellschaft, alle tragen klangvolle Namen: "Le Train Bleu", "Süd-Express", "Étoile du Nord" oder "Fleche d'Or" stehen bis heute für den Luxus, mit dem man damals Europa bereiste.



König der Züge ist der legendäre Orient-Express, ein Luxuszug, der mit seinen Zubringer- und Kurswagen wie ein geflochtenes Band Paris mit Konstantinopel verbindet. Genutzt wird er von den Berühmtheiten der Epoche: Königen, Hochadel, Diplomaten, Politiker, indischen Maharadschas und arabischen Scheichs - aber auch von Agenten, Spionen und Drogenschmugglern. Der bulgarische König gehört ebenso zu den Stammgästen wie der Herzog von Windsor, der Bankier Carl Fürstenberg, der spätere US-Präsident Herbert Hoover, der Schriftsteller Graham Greene oder die Tänzerin Mata Hari. Um viele der Reisenden ranken sich Legenden, der Autorin Agatha Christie dient der nachtblaue Zug als Schauplatz ihres berühmten Krimis "Mord im Orient Express." Die in den 1930er Jahren unruhiger werdenden Zeiten betreffen auch das rollende First-Class-Hotel: 1931 beschädigt eine Bombe der ungarischen Faschisten die Brücke von Biotobargy in der Nähe von Budapest. Der Orient-Express stürzt in die Tiefe, etwa 20 Menschen kommen ums Leben. An Bord befindet sich die Tänzerin Josephine Baker, sie bleibt unverletzt.

Nach dem zweiten Weltkrieg blieb dem Zug nur noch der klangvolle Namen; für Luxus gab es in den grauen Jahren nach der Weltkatastrophe kein Platz mehr. Als normaler Fernzug verkehrte er 1977 letztmalig zwischen Paris und Istambul, danach wurde er immer weiter verkürzt, der letzte relevante Zuglauf war ab 2002 Wien-Paris. Mit dem Ausbau der Hochgeschwindigkeitsstrecken wollte die französische Staatsbahn keine Konkurrenz für ihre TGVs und kappte den Zug in Strasbourg. Dieser klägliche Rest konnte sich nicht lange halten, im Dezember 2009 verschwand die Bezeichnung Orient-Express aus Europas Kursbüchern. Heute bieten private Veranstalter Luxusreisen in historischen Waggons an, meist mit Namen, die an die große Zeit der großen Züge erinnern.




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Weitere Bilder zum Orient-Express
Der Orient-Express auf der Website der französischen Staatsbahn
Der Orient-Express auf Wikipedia
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Der Venice-Simplon-Orient-Express ermöglicht Reisen im Stil der 1920er Jahre in restaurierten Originalwaggons
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