Tollhaus auf vier Rädern

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors Jürgen Langenbach, 13.8.2003

"Wo stehst Du?", fragt einer den anderen, wenn zwei sich treffen. "Drei Ecken weiter", antwortet der andere trockenen Auges aus einem halben Meter Entfernung. Auch Passanten, die zufällig mit hören, rufen nicht etwa den Irrenarzt, es weiß ja jeder, was gemeint ist. Aber was ist gemeint, wenn die Identität eines Ich auf ein technisches Gerät übergeht und von diesem getragen wird?

Es ist kein technisches Gerät wie andere: Mit dem Kühlschrank verwechselt man sich eher selten, man sieht auch kaum jemanden, der jedes Wochenende den Staubsauger poliert. Beim Auto ist das ganz normal, für das Auto tut man viel, dem Auto glaubt man viel. Dabei täuscht sein Name, es ist nicht auto mobil, es ist hungrig, um seinen Treibstoff werden Kriege geführt. Und auf den Straßen sterben jedes Jahr Zehntausende, das summiert sich - auf 692.000 in Deutschland in den letzten 50 Jahren -, aber die Gesellschaft entrichtet das Opfer klaglos, der Flugverkehr wäre bei ähnlichen Zahlen längst eingestellt. Das hat handfeste Gründe, die mächtigsten Volkswirtschaften hängen am Auto.

Aber rationale Erklärungsversuche reichen nicht weit, das Auto trägt seinen Namen auch zu Recht, es ist Teil des Selbst. Es modelliert Charaktere heraus, man kann vom Autotyp auf den Fahrer und von der Automode auf gesellschaftliche Trends schließen: Die Zeiten werden rau, die Innenstädte füllen sich mit mondkratertauglichen Kästen, die trefflich zur Nashornjagd geeignet wären.

Sitzt man gerade nicht drinnen, sondern schaut zu, sieht man eine höchst seltsame Chimäre, einen Zwitter mit vier Rädern, zwei Füßen - Gas und Bremse - und zwei Händen am Lenkrad. Dann ist da noch ein Kopf, der sich frei fühlt und insofern auch frei ist, als er die Beschränkung des Körpers ablegen kann, und, geschützt in der Karosserie, andere Beschränkungen auch: Man kennt die Wortwahl der Taxifahrer, man kennt die Lichthupe aus einem Meter Abstand im Genick - und man fühlt bisweilen durchaus Mordgelüste in sich aufsteigen, wenn der andere den letzten freien Parkplatz erwischt.

So wird unser Auto frei von Hemmungen, frei auch von der Wahrnehmung, wir haben kein Sensorium für die Gewalt von 300 PS oder die Geschwindigkeit von 160 Stundenkilometern. Wir nicht, unser alter Auto schon, es misst und zeigt und weiß alles. Also sollte es am besten selbst darüber entscheiden, mit welcher Geschwindigkeit man auf Autobahnen schneller dort ist.