Wien: Die Nachkriegszeit

Wiederaufbau und Orientierungslosigkeit

Nach den Zerstörungen der Kriegszeit wurden in unglaublicher Geschwindigkeit Strecke um Strecke wieder befahrbar gemacht. Die anfangs wenigen Züge erbrachten immense Transportleistungen. Das Video zeigt den Verkehr am Karlsplatz - dichte Trauben hängen auf den Trittbrettern. Das Fahrtziel des 66ers, die Tolbuchinstraße, sucht man heute glücklicherweise vergebens im Stadtplan - die russische Besatzungsmacht nahm für sich das Recht auf Umbenennungen in Anspruch, die Reichsbrücke mutierte zur "Brücke der Roten Armee".



Die nach Beseitigung der gröbsten Bombenschäden einsetzende Stadtplanung präsentiert sich zu Anfang der 50er Jahre merkwürdig widersprüchlich. Einerseits wird hohes Augenmerk auf völlige Nebensächlichkeiten wie die Korrektur von unregelmäßigen Baufluchtlinien verschwendet, andererseits wird in den Entwürfen für neue Verkehrsführungen oder Straßenzüge das zu erwartende Verkehrsaufkommen völlig unterschätzt. Einige wenige vor einer Kreuzung haltende Autos werden als riesenhafte Verkehrsstockung empfunden, gleichzeitig werden Hochstraßen mit dem Argument geplant, die ungehindert rollenden Fahrzeuge seien völlig lautlos - die Anfahr- und Bremsgeräusche wären ja das Problem. Im Gegensatz zu diesen Straßenplanungen entstehen aber auch teilweise interessante Stadtbahnkonzepte, vor allem Verlängerungen über den Südgürtel zur Badnerbahn sowie über Heiligenstadt nach Floridsdorf und Stammersdorf.

Einige recht interessante Verbesserungen für das Straßenbahngleisnetz werden vorgeschlagen, hervorstechend wohl die Platzgestaltung vor dem neuen Westbahnhof und Schleifenanlagen für Hietzing und das Stadion, das seit seiner Entstehung ausser einer eingleisigen Schleife bis heute keinerlei Betriebsgleise aufzuweisen hat. Ausgeführt wird von all diesen Planungen fast nichts; die wenigen verwirklichten Projekte lassen eine große Linie vermissen. Dazu passen auch die manchmal geradezu bizarren Entscheidungen der Verkehrsbetriebe, geprägt von ständiger Geldnot und Improvisationsgeist.

Die in der Zwischenkriegszeit elektrifizierte Stadtbahn wurde ab 1925 wegen des vorerst befristeten Nutzungsvertrages mit straßenbahnähnlichen Wagen betrieben. Als nach dem Krieg viele dieser Zweiachser zerstört waren, präsentierte Schindler auch in Hinblick auf großzügige Stadtbahn-Ausbaupläne das Konzept eines Gelenktriebwagens:

Unverständlicherweise entschied man sich aber tatsächlich, statt dieser bereits konzipierten Nahverkehrswagen am Zweiachser festzuhalten und unter Verwendung einiger Altteile völlig unzeitgemäße Straßenbahnwagen zu bauen. Auf der Strecke bot die hüpfende Kolonne von bis zu 9 dieser roten Schachteln bis in die frühen 80er Jahre ein eigenartiges Bild.

Ein Treppenwitz ist übrigens, daß auch Ende der 70er Jahre, als die Zweiachser endgültig am Ende waren, wieder nur Straßenbahnwagen für die als Vollbahn gebaute Stadtbahn angeschafft wurden. Erst die letzte Generation von Niederflurwagen sind für die nun U6 benannte Strecke adäquat; selbstverständlich wurden aber vorerst nicht genug Wagen beschafft, um alle alten Züge zu ersetzen, sodaß zwischen den eher zarten Tramwaygelenkwagen diese klobigen Niederflurwagen eingereiht waren. Das ganze sah aus wie eine Schlange, die ein Ei verschluckt hat...


Das Basteln der 50er Jahre ging aber in anderen Bereichen weiter. Ein typisch wiener Schicksal erlitt die Type T. Um 1900 wurden diese prachtvollen 4-achsige Straßenbahnwagen gebaut:

Da die Maximumsdrehgestelle zum Entgleisen neigten, baute man die Wagen auf 2-Achser um.

Später wurde der Kasten teilweise verändert, die Führerstände verglast.

Die Untergestelle dieser Wagen erhielten ab 1954 neue Aufbauten, eine kleine und unzeitgemäße Wagentype entstand. Nachdem alle Untergestelle verbraucht waren, baute man unerklärlicherweise ohne weitere Verwendung von Altteilen nach dem gleichen Muster weiter. Auf Druck der Gewerkschaft wurden stur kurze Zweiachser weitergebaut und am 3-Wagenzug festgehalten, obwohl gleichzeitig bereits die sechsachsigen Gelenkwagen gefertigt wurden!

Die einsetzende Kritik und der Personalmangel - immerhin waren 4 Mann Personal für einen 3-Wagenzug nötig - veranlassten die WVB, an die fast fertigen Wagen noch einen Drehgestell-Nachläufer zu setzen - die Type F war geboren:

Aus heutiger Sicht völlig verrückt war aber die Tatsache, daß 1957 noch 30 Holzkastenbeiwagen praktisch neu gebaut wurden: Die Type k3(neu) wurde zwar als Umbau tituliert - anders wäre sie garnichtmehr zugelassen worden - war aber ein Neubau.

Mit diesem typisch österreichischen "weiterwurschteln" rettete sich der Betrieb irgendwie über die 60er und 70er-Jahre hinweg. Wenn man bedenkt, daß in der ganzen Welt seit der Zwischenkriegszeit 4-achsige Straßenbahnwagen unterwegs sind, erscheint es völlig unverständlich, wie und warum die WVB so vor sich hin basteln konnten. Daß dieser Betrieb die einstellungswütigen 60er Jahre überlebt hat, liegt wohl nur daran, daß in Wien Entscheidungen etwas langsamer getroffen werden als anderswo - und die Stadtregierung, nach wie vor ausschließlich sozialistisch, sich noch nicht zur U-Bahn durchringen konnte.

Die damals entstandenen Wagen waren übrigens bis in die 1990er Jahre noch im Einsatz: links einer der letzten 3-Wagenzüge, rechts ein F-Gelenkwagen. Die Linie 62 hat die zweifelhafte Ehre, mit den jeweils ältesten Wagen betrieben zu werden, obwohl sie sich wegen ihrer Länge und der vielen eigenen Gleiskörper besonders für den Ausbau zu einer Expreßtram eignen würde.


Upflastraba, U-Bahn und Utopien

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