Die Geschichte der Wiener Hauptbahnhöfe

Eine Artikelserie von Michael Suda

Der Franz-Josefs-Bahnhof (Wien FJBf)

Die Lage des Bahnhofs:

Im neunten Wiener Gemeindebezirks Alsergrund am heutigen Julius-Tandler-Platz (früher: Althanplatz) gelegen, ist Wien FJBf nach reiner Messentfernung von der Ringstraße und damit der Innenstadt der zentral gelegenste Wiener Kopf- bzw. Fernbahnhof. Eigentlich kann er heute aber auch nicht mehr zu den Fernbahnhöfen gerechnet werden, da er keinen Schnellzugverkehr mehr aufweist. Der Bahnhof ist durch die Straßenbahnlinie D mit der Innenstadt und dem Südbahnhof verbunden, die Straßenbahnlinien 5 verbindet Wien FJBf mit dem West- und Nordbahnhof (früher auch Nordwestbahnhof) und schafft gemeinsam mit dem 33er Querverbindungen in Richtung der westlichen und nördlichen Stadtbezirke. Wichtiger für den Nahverkehr ist seit 1996 die vorgelagerte Haltestelle Spittelau, wo zu den U-Bahnlinien U4 und U6 umgestiegen werden kann.

Die Geschichte des Bahnhofs:

Vorbemerkung: Ich verwende hier vorwiegend für in der heutigen tschechischen Republik gelegene Ort die historischen deutschsprachigen Ortsbezeichnungen, weil diese im Kontext geschichtlicher Darstellungen oft leichter verständlich sind. Wo es um Verständnis geographischer Zusammenhänge geht, habe ich mich bemüht, auch die heutigen tschechischen Namen gleichwertig zu verwenden.

Wie schon in anderen Folgen mehrfach erwähnt, löste die Liberalisierung des privaten Eisenbahnbaus nach 1866 einen Boom aus. Es wollte nicht nur so gut wie jedermann mit Investitionen in Eisenbahnwerte (Aktien und Anleihen von Bahngesellschaften) an der Börse schnell und sicher reich werden, es ging auch fast jede staatliche Planungshoheit zum Teufel und wurde der Streckenbau mehr nach Ertragsaussichten als nach volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten durchgeführt. Zwar gab es noch unverbindliche Planungsarbeiten, niedergelegt etwa 1864 in der Denkschrift "Entwurf eines neuen Eisenbahnnetzes" des k.k. Ministeriums für Handel und Volkswirtschaft, dem damals die Eisenbahnen unterstanden, doch blieb die Ausführung der darin vorgesehenen Verbindungen privater Initiative vorbehalten. Dieser Netzentwurf sieht auch eine Eisenbahn von Wien über Tulln, Horn, Gmünd und Budweis nach Westböhmen (Pilsen und Karlsbad) sowie eine Bahn durch das Moldautal von Budweis nach Prag vor. In diesem Netzentwurf fehlen aber z.B. sowohl die Nordwestbahn - an ihrer Stelle waren Verbindungsstrecken Horn - Znaim - Brünn und Znaim - Iglau - Pardubitz vorgesehen - als auch das sogenannte Ergänzungsnetz der StEG; beide Bahnen wurden ab 1866 aus privaten Kapitalinteressen verwirklicht, obwohl ihr volkswirtschaftlicher Nutzen offenbar umstritten war.

Die Eisenbahn von Wien nach Westböhmen stand schon seit 1863 im Blickpunkt eines Konsortiums, das einer der geld- und einflussreichsten Männer der Aristokratie, ein wahrer "Grande von Österreich", Johann Adolf Fürst zu Schwarzenberg, gebildet hatte. Mit im Boot befanden sich noch weitere klangvolle Namen: Paars, Hoyos-Sprinzensteins, Fürstenbergs, Cernins und Colloredo-Mannsfelds. Diese Eisenbahngründung war offenkundig Sache eines Syndikats der Hocharistokratie, alles Leute, die das Eisenbahnfieber der Gründerzeit gepackt hatte, und denen, nebenbei erwähnt, vermutlich sowie das halbe Kronland Böhmen gehörte. Am 5. Jänner 1864 erhielt des Konsortium die Bewilligung für Vorarbeiten, insbesondere Vermessungsarbeiten, und bereits am 13. November 1864 wurde der Konzessionsantrag samt Streckenplanung eingereicht. Das Urprojekt unterschied sich vom konzessionierten Projekt vor allem dadurch, dass die Verzweigung der von Wien kommenden Hauptstrecke in die Äste nach Praha/Prag und Cheb/Eger nicht in Gmünd sondern in Trebon/Wittingau vorgesehen war. Die Trasse durch das Kamptal über Horn hatte man zu diesem Zeitpunkt bereits zu Gunsten der billigeren Überschreitung das Manhartsberges vom Schmidatal aus über Eggenburg aufgegeben. Nach fast zweijährigen Verhandlungen, unterbrochen durch die Wirren des deutschen Bundeskriegs im Sommer 1866, erhielten Fürst Schwarzenberg & Konsorten am 11. November 1866, kundgemacht in Reichsgesetzblatt Nr. 141/1866, die Konzession "zum Bau und Betrieb einer Lokomotiv-Eisenbahn von Wien nach Eger mit der Zweigbahn von Gmünd nach Prag". Die Konsorten erhielten dadurch nicht nur die üblicherweise den Konzessionären einer Bahn eingeräumten Rechte wie das Recht, Liegenschaften zu Gunsten des Bahnbaus enteignen zu lassen und eine Aktiengesellschaft für Bau- und Betrieb der Bahn zu gründen, zwei Verträge mit der Regierung sicherten ihnen auch die begehrte staatliche Zinsengarantie von fünf Prozent auf das eingesetzte Kapital. Flugs wurde daher im Sommer 1867 eine Aktiengesellschaft errichtet, die sofort Aktien und Obligationen im Wert von fast 82 Millionen Gulden auf dem damals ohnehin schon hektischen Börsenplatz Wien auf den Markt warf, die dank der Zinsengarantie auch weggingen wie die sprichwörtlichen warmen Semmeln. Einen weiteren werbewirksamen Coup hatte Fürst Schwarzenberg, nunmehr Präsident des Verwaltungsrats, schon 1864 gelandet: auf Grund seines Einflusses bei Hof hatte er die Zustimmung des Kaisers erlangt, die neue Bahn nach dem Monarchen benennen zu dürfen.

Die Namensgebung der Bahn:

Ja, wie heißen die Bahn und der Bahnhof denn nun eigentlich? Franz Josef-, Franz-Josef- oder Franz-Josefs-Bahn, jeweils nach Zeitumständen mit oder ohne Kaiser voran? Als Jurist kann ich eine Formalantwort bieten: § 3 der Gesellschaftsstatuten von 1867 bestimmt eindeutig: "Die Firma der Gesellschaft lautet: "K. k. priv. Kaiser-Franz-Josef-Bahn," und wird in die Register des k. k. Handelsgerichtes zu Wien eingetragen." Heute ist der Bahnhof als "Wien Franz-Josefs-Bahnhof" im Stationsverzeichnis des ÖBB-Kursbuchs zu finden. Der Sprachgebrauch ändert sich eben. Unser Bahnhof hieß bis zirka 1901 (ein genaues Datum konnte nicht einmal Ing. Wegenstein in einem Aufsatz über die Betriebsstellen der FJB angeben) "Wien (KFJB)", dann offiziell "Wien Kaiser-Franz-Josef-Bahnhof". Sehr eigenartig mutet es an, dass der "Kaiser" nicht, wie vielfach vermutet wird, erst mit dem Ende der Monarchie aus dem Stationsnamen gestrichen wurde. Er verschwand irgendwann zwischen 1910 und 1918, im Sommerfahrplan 1918 wird der Bahnhof eindeutig bereits als "Wien F.J.Bf." abgekürzt. Man kann darüber spekulieren, ob man nach dem Tod des Namenspatrons vielleicht den Titel streichen wollte, um seinem Nachfolger Kaiser Karl I. Respekt zu erweisen, aber Wegenstein gibt als Datum der Namensänderung das Jahr 1910 an. Vielleicht wollte man sich einfach an die Umgangssprache anpassen und den Namen kürzer und leichter aussprechbar machen. Im Volksmund dürften Spitznamen wie "Franz-Pepi-Bahn", "Marjandjosef-Bahn" oder im coolen heutigen Denglisch "Efff-dschäj-biii" die Runde gemacht haben.

Weitere wirtschaftliche Geschichte:

Mit dem aufgenommenen Kapital konnte die KFJB-Aktiengesellschaft die schon vom Konsortium begonnenen Bahnbauten vollenden und die konzessionierten Strecken in Betrieb setzen, wodurch erst die staatliche Zinsengarantie wirksam und fällig wurde. Dies geschah am 10. Jänner 1872, als die Flügelbahn Absdorf-Hippersdorf - Krems an der Donau dem öffentlichen Verkehr übergeben wurde. Mit dem Börsenkrach von 1873 und der danach einsetzenden wirtschaftlichen Depression begann aber bereits kurz danach der Niedergang des Privatbahnsystems an sich. Auch die KFJB musste zur Auszahlung der Dividenden- und Zinsencoupons die staatliche Garantie in Anspruch nehmen. Der Bahnbetrieb dümpelte lustlos vor sich hin, für Expansion und Innovation fehlten Geld und Mut zum Risiko. Mit Wirkung vom 1. Mai 1884 wurde das Streckennetz der KFJB daher auf Grundlage des Eisenbahn-Sequestrationsgesetzes von 1877 verstaatlicht und den k.k.St.B. eingegliedert, die die Bahn in den folgenden Jahrzehnten, zunächst auf der Route Wien - Prag in hartem Wettbewerb mit privater Konkurrenz (ÖNWB, StEG), zu einem Kernstück ihres Streckennetzes machten.

Provisorischer Bahnhof (1870-1872),
erster Franz-Josef-Bf (1872-1974/77):

Als am 23. Juni 1870 die KFJB mit der Einweihung der Teilstrecke Eggenburg - Wien die Reichshauptstadt erreichte, gab es noch gar keinen richtigen Bahnhof. Die Züge fuhren von einem Provisorium, einer besseren Bretterbude, etwa an der heutigen Kreuzung Nordbergstraße/Tepserngasse gelegen, ab. Grund dafür war nicht etwa die Säumnis der Bauunternehmen sondern ein sich scheinbar ewig hinziehender Diskurs zwischen KfJB und Gemeinde Wien um die Lage des Bahnhofs. Die KFJB wollte den Bahnhof auf den billigen Liegenschaften entlang des Donaukanals im Bereich der Spittelau errichten, der Personenbahnhof wäre etwa auf Höhe der heutigen Haltestelle und Umsteigstation zur U-Bahn "Spittelau" zu liegen gekommen. Die Liechtensteinstraße zwischen Liechtenwerderplatz und Ring wäre diesfalls die "Bahnhofsstraße" geworden. Damit hätte sich der Bahnhof aber bis 1890 außerhalb der Wiener Gemeindegrenze befunden. Die Kommunalpolitiker waren offenbar damals schon für die Verkehrsprobleme, die die Zersplitterung des Bahnnetzes auf zahlreiche Kopfbahnhöfe der Stadt zu bescheren im Begriffe war, sensibilisiert. Ihr Standpunkt war anscheinend: wenn schon jede Bahngesellschaft einen eigenen Kopfbahnhof will, dann möglichst nahe ans Zentrum mit ihnen! In diesem Sinne wurde buchstäblich um jeden Meter Gleis mit der Direktion der KFJB gerauft. Die Stadt setzte sich vor dem Handelsministerium, dessen Genehmigung die Detailplanung noch brauchte, durch. Die KFJB musste die Liegenschaft des barocken Althanschen Gartenpalais, auf der zwischendurch allerdings auch schon eine kleine Textilfabrik stand, erwerben, das Palais samt Fabrik abreissen lassen - was eine frühe Diskussion über Fragen des Denkmalschutzes auslöste - und dort ihren Bahnhof unter relativ beengten Verhältnissen errichten. Allerdings wurde ihr dieser kostentreibende Umstand durch kräftige Kostenzuschüsse der Stadt und des Staates versüßt.

Für die Planung des Franz-Josef-Bahnhof wurde das Architektenduo Ullmann & Barvicius aus Prag, das einige Repräsentationsbauten der KFJB wie z.B. auch den ersten Prager Bahnhof (an seiner Stelle heute: Praha hlavni nadrazi) entwarf, unter Vertrag genommen. Die Architekten hielten sich bei diesem 1870-1872 erbauten zweiten bzw. ersten permanenten Franz-Josef-Bahnhof an das bewährte Schema: Aufteilung in Abfahrts- und Ankunftsseite, der Zeit entsprechend Abfahrt in Fahrtrichtung links, Ankunft gegenüber. Im Zentrum des Baus stand eine 139 Meter lange Gleishalle, überspannt von einem Eisen-Glasdach mit Polonceau-Dachträgern. Die Spannweite betrug bescheidene 28,5 Meter, was bequem Platz für vier Gleise mit (nach 1945) zwei Seiten- und einem Zungenbahnsteig bot. Die Hallenausfahrt war ursprünglich als der Eisenkonstruktion vorgeblendeter doppelter Mauerwerksbogen ("gemauerte Schürze") ausgeführt, was nach fotografischen Dokumenten dem Bauwerk einen sehr konservativen Touch verlieh, aber gut mit den anschließenden Bauten harmoniert haben dürfte. Die Halle wurde gegen den heutigen Julius Tandler-Platz durch einen massiven und deutlich breiteren Quaderbau mit fünfzehn Fensterachsen abgeschlossen, der von zwei Uhrtürmen gekrönt war. Dieser Bau bildete die repräsentative Fassade zur Stadt hin. Es gab auch einen kleinen Eingang mit einer von einem auf drei Bögen ruhenden Balkon überspannten Auffahrt, doch dürfte dieser Eingang ursprünglich nur den Zugang zu den Büros der KFJB gebildet haben. Die Abfahrtseite mit Kassenhalle befand sich entlang der Althanstraße. Hier wurde meiner Meinung nach keine ästhetisch befriedigenden Lösung gefunden: an die Halle schlossen ebenerdige schmale Trakte an (unter anderem das Restaurant mit einem an der Ecke beim heutigen Billa vorzustellenden Gastgarten), aus denen die Abfahrtshalle ohne sinnvolle Verzahnung mit dem Baukörper der Bahnhofshalle vorsprang. Die Halle selbst war etwa zwei Normalstockwerke hoch, hatte ein sehr flaches Dach und über der Althanstraße eine Balustrade mit den üblichen allegorischen Statuen. Eine gute Fotoaufnahme der Ankunftsseite an der heutigen Nordbergstraße habe ich noch nicht gefunden, doch dürfte nach dem Grundriss die Ankunftshalle kleiner gewesen sein und über das obligate langgestreckte Vordach über dem Ausgang verfügt haben. Zu beiden Seiten der Hallenausfahrt gab es dann noch Bürotrakte, die nach Höhe und Gliederung einen symmetrischen Kontrapunkt zum Turmtrakt an der Hallenstirnseite setzten. Sämtliche Bauteile waren im typischen Ringstraßenstil gehalten, klassischer und am ehesten mit Stilelementen der Renaissance vergleichbarer Historismus eben.

Vielleicht noch einige Worte zu den Gleisanlagen: Nach der Ausfahrt aus dem Personenbahnhof folgte eine zentrale Abstellgruppe, rechts davon die Zugförderungsanlagen mit Drehscheibe und einem, später zwei großen Halbringschuppen, links davon, entlang von Althanstraße und Augasse, ein Frachtenbahnhof mit einigen Magazinen und Ladestraßen. Die äußerste Weiche von Wien FJBf lag etwa auf Höhe der damaligen EK Rampengasse. Neben der schon erwähnten Entfernung der Einfahrtsbögen wurde der Bahnhof baulich und betrieblich in 70 Jahren kaum verändert. In der Zeit der Bombenangriffe des zweiten Weltkriegs erlitt das Aufnahmsgebäude des Bahnhofs Treffer und geriet während der Straßenkämpfe in Wien im April 1945 in Brand. Nachdem man von den Ruinen aus den Verkehr wieder anlaufen hatte lassen, begann 1947 eine Generalrenovierung des Franz-Josefs-Bahnhofs. Vermutlich aus Geldmangel und weil man die Bedeutung des Bahnhofs nicht recht absehen konnte wurde kein Neubau ins Auge gefasst. Es mag sein, dass auch ein Drängen der US-Besatzungsmacht auf Instandsetzung mit im Spiel war, da die Amerikaner Wien FJBf als Endpunkt für ihren Militärschnellzug "Mozart" nutzten. Die Dachkonstruktion der Gleishalle erwies sich als stabil und wurde saniert, wobei man eine Glasschürze an die Stelle des gemauerten Bogens setzte, die schwer beschädigte Abfahrtshalle wurde abgerissen, der Haupteingang mit Kassen an die Stirnseite des Bahnhofs verlegt. Die Uhrtürme über der Hauptfassade wurden abgetragen, von sämtliche Fassaden die historistischen Zierelemente abgeschlagen und die Mauern, wie es damals Mode war, "geglättet". Nur an den Innenwänden der Gleishalle hielt sich einiges von der Baudekoration der Gründerzeit. Übrig blieb ein trauriges, stilloses Irgendetwas, an dem 1952 die weiteren Renovierungsarbeiten eingestellt wurden. Möglicherweise spielte auch dabei die Verlegung des "Mozart" zum neuen Westbahnhof eine gewisse Rolle. Detail am Rande: Über dem Hauptportal hielt sich bis zum Abbruch eine bei der Renovierung angebrachte Aufschrift mit dem Wortlaut "Franz-Josef-Bahnhof", obwohl der Bahnhof in Kursbüchern der Fünfzigerjahre schon eindeutig als "Franz-Josefs-Bahnhof" bezeichnet wird. In dieser Form überlebte Wien FJBf als letzter Kopfbahnhof alten Stils in Wien noch weitere zwanzig Jahre. Sogar zu Hollywood-Filmehren kam er im Jahre 1961 als John Huston dort einige in einer Bahnhofshalle spielende Traumsequenzen für seine Sigmund Freud-Filmbiographie drehen ließ. Um 1970 galt der Bahnhof als so abgewirtschaftet und heruntergekommen, dass die BB-Dion Wien anlässlich der ins Auge gefassten Elektrifizierung der Franz-Josefs-Bahn einen Neubau planen ließ.

Zweiter Franz-Josefs-Bahnhof (seit 1978):

Der neue Franz-Josefs-Bahnhof entstand wohl als erster Bahnhofsbau in Österreich unter der Prämisse einer maximalen nicht-eisenbahnmäßigen Verwertung der stadtnahen Eisenbahnliegenschaften. Daher wurde das gesamte Bahnhofsgelände stufenweise zwischen 1977 und etwa 1990 vollständig überbaut, sodass Personenbahnhof-, Frachtenbahnhof, Zugförderungsanlagen und ein Großteil der Abstellgruppe heute unsichtbar im Keller liegen. Lediglich an der Althanstraße bieten einige Einfahrten seitlichen Einblick in die neue "Bahnhofshalle", für die wenig schmeichelhafte Ausdrücke wie "Erdäpfelkeller" oder "Betongruft" erfunden wurden. Der neben einer imposanten Freitreppe - mit Freiluft-Rolltreppe in den Bankpalast - geradezu versteckt gelegene Haupteingang in den Bahnhof wurde recht treffend als "Mausloch" beschrieben. Dahinter liegt eine kleine Kassenhalle mit ein paar Läden, nebenan die heute verödete Gepäckabfertigung mit Seitenausgang zur Nordbergstraße. Durch Türen gelangt man in den "Erdäpfelkeller" - und das war's auch schon. Die darüber liegenden Bauten können nur mehr sehr vage als Eisenbahnarchitektur beschrieben werden. Nach Stil und Formgebung sind es hundsordinäre und ziemlich hässliche Bürobauten der frühen Achtzigerjahre. Als da wären: Verwaltungsbüros und Rechenzentrum einer Großbank (auffallend: die um 1980 schicke Spiegelglasfassade), die ehemalige Post- und Telegraphendirektion für Wien, NÖ und das Burgenland (heute Büros der Post- und der Telekom-AG), das Biologie-Zentrum und andere Institutsbauten der Universität Wien, die komplette Wirtschaftsuniversität Wien sowie ein Amtsgebäude des Bundesministerium für Inneres (Teile der BPolDion Wien (Verkehrsamt) und diverse, teilweise offiziell geheime Dienststellen). Die entsprechenden Bauten gehören nicht einmal den ÖBB sondern sind rechtlich meines Wissens mehrheitlich auf Bahngrund errichtete Superädifikate, stehen also im Eigentum der jeweiligen Erbauer oder ihrer Rechtsnachfolger. Durch die Überbauung wurde natürlich die Gestaltung der Gleisanlagen im wahrsten Sinne des Wortes für ewige Zeiten zubetoniert. Der Personenbahnhof wurde von vier auf fünf Gleise erweitert, was für den derzeitigen Betrieb auch ausreicht. Eigenartigerweise wurde auch der Frachtenbahnhof in vollem Umfang überbaut. Seine weitläufigen unterirdischen Magazine und Ladestraßen sind noch in Betrieb, bilden aber mit dem Niedergang des Stückgut- und Wagenladungsverkehrs ein langsam verödendes Labyrinth. Seit 1978 ist Wien FJBf unter Fahrdraht, der neue Personenbahnhof war damals gerade im Rohbau fertig. Anfangs verkehrten aber nur die Takt-Personenzüge nach Tulln elektrisch (heute S 40), erst mit der Elektrifizierung der FJB-Stammstrecke bis Sigmundsherberg verschwanden die Dieselstinker aus der Bahnhofshalle. 1996 wurde an Stelle der früheren Brücken und Viaduktbögen der Verbindungsschleife Abzw. Nußdorfer Straße - Friedensbrücke im Zuge des Ausbaus der U6 nach Floridsdorf die neue Umsteigstation "Spittelau" eröffnet. Neben U4 und U6 wurde auch die FJB einbezogen, die dort im Vorfeld von Wien FJBf eine neue Haltestelle erhielt, in der heute, mit nur wenigen hundert Metern Abstand von Wien FJBf, sämtliche Züge in beiden Richtungen halten. Weitere Aus- oder Umbauten sind nicht geplant. Da keine freien Flächen zum Verwerten mehr vorhanden sind, hat der Bahnhof aus Sicht der ÖBB-Immobilienverwalter wohl auch keinen weiteren Wert.

Noch ein paar Anmerkungen zu Fahrplan und Betrieb:

Die KFJB begann wie die meisten Bahnen um 1870 mit einem äußerst bescheidenen Personenzugsfahrplan. Bei Betriebsaufnahme im Juni 1870 verkehrten zwei durchgehende Züge Wien - Plzen/Pilsen, davon einer über Nacht, und einer Wien - C. Budejovice/Budweis. Dazu kamen am Wochenende vier Ausflugszugpaare Wien (KFJB) - St. Andrä-Wördern. Nach der Übernahme in den Staatsbetrieb stieg der Verkehr deutlich an. Zwischen 1889 und 1905 wurde abschnittsweise zwischen Wien KFJBf und Ceske Velenice (damals: Gmünd, ab 1905 Gmünd Hbf) ein zweites Streckengleis verlegt. Gleichzeitig wurde die Strecke mit einem leistungsfähigen Streckenblock ausgerüstet. Mitte der Neunzigerjahre des 19. Jahrhunderts verkehrten bereits neben zwei Tagesschnellzügen Wien - Praha/Prag, drei Fernpersonenzüge (im heutigen Sinn: Eilzüge) Wien - Praha/Prag und ein saisonierter CIWL-Luxuszug Wien - Cheb/Eger als Zubringer in die westböhmischen Kurorte (Marienbad und Karlsbad). Mit Inbetriebnahme der Wiener Stadtbahnlinien (Gürtel-, Wiental-Donaukanal- und Vorortelinie) wurde der neu errichtete Bahnhof Heiligenstadt einer der wichtigsten Knotenpunkte Stadtbahn/Fernbahn und die KFJB in Richtung Tulln und Krems Auslaufstrecke für zahlreiche von den Stadtbahnlinien kommende Nahverkehrszüge. Dieser sinnvolle Regionalverkehr endete mit der Einstellung des Stadtbahnverkehrs im Ersten Weltkrieg und der anschließenden Trennung der Stadtbahnlinien vom Vollbahnnetz 1923/24 wieder. Überhaupt begann nach dem Ersten Weltkrieg bereits der schleichende Abstieg der KFJB. Der Fernverkehr beschränkte sich auf je ein Schnellzugpaar Wien - Berlin und Wien - Praha/Prag sowie eine saisonale Verbindung Richtung Plzen/Pilsen. Unterhalb der Schnellzugebene wurden die meisten Züge an der neuen Staatsgrenze in den Grenzbahnhöfen Gmünd NÖ bzw. Ceske Velenice gebrochen. Bereits Mitte der Dreißigerjahre begannen Streckenrückbauten (Auflassung von Blockstellen), erstmals wurde auch über eine Demontage des zweiten Streckengleises spekuliert, da vor allem der Güterverkehr stagnierte. Dazu kam es aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg: 1957 wurde Ceske Velenice - Sigmundsherberg, 1968 Sigmundsherberg - Absdorf-Hippersdorf auf ein Gleis rückgebaut. Das Jahr 1957 brachte aber auch den bemerkenswerten Versuch über alle dicht geschlossenen Staats- und Systemgrenzen hinweg wieder eine attraktive Tagesschnellverbindung Wien - Prag - Berlin zu etablieren - bis dahin hatte es nach 1945 nur direkte Züge Wien - Prag gegeben. Triebwagenschnellzug TS 54/55 "Vindobona" Wien FJBf - Berlin Friedrichstraße über Praha hl.n. und Dresden Hbf wurde alternierend mit verschiedenen Dieselschnelltriebwagen von DR, CSD und ÖBB gefahren, wobei mir die elegant-schnittigen DR-Schnelltriebwagen der Baureihe VT 175 als einer meiner frühesten Eisenbahneindrücke Anfang der Siebzigerjahre noch gut in Erinnerung sind, unter anderem wohl auch deshalb, weil sie so gar nicht zum altmodisch-hässlichen Fahrzeugmaterial der sonstigen Ostblockbahnen passen wollten. Wegen des Neubaus von Wien Franz-Josefs-Bahnhof wurde der Vindobona ab Winterfahrplan 1975 nach Wien Mitte verlegt und mit Sommerfahrplan 1979 in einen normalen internationalen Schnellzug mit Lok und Klassen umgewandelt. Ein Jahr später wurde der Zug wieder nach Wien FJBf zurückverlegt. Daneben gab es in diesen Jahren nur eine Schlafwagenkursverbindung nach Berlin, die von den ÖBB bis und ab Gmünd NÖ einem lahmen Tagesrandeilzug beigegeben wurde. Die Grenzöffnung 1989/90 brachte dem FJB-Fernverkehr eine kurze Scheinblüte. In diese Jahre fällt auch die 1995 vollendete Elektrifizierung der FJB bis Gmünd NÖ. Im Fahrplan 1991 (NAT 91) finden wir das Maximum von vier bis und ab Wien FJBf laufenden Schnellzugpaaren: Tagesschnellzug ("Vindobona") und Nachtschnellzug ("Sanssouci") Wien - Berlin sowie zwei Schnellzugpaare Wien - Praha/Prag. Wegen unzureichender Auslastung, der Züge, der Elektrifizierungslücke zwischen Sigmundsherberg bzw. Gmünd NÖ und Veseli nad Luznici sowie dem Wunsch der ÖBB, den Fernverkehr in Wien möglichst auf Wien Westbf bzw. Wien Südbf zu konzentrieren, wanderten die Fernverbindungen ab bzw. wurden eingestellt. Seit Sommerfahrplan 1996 verkehren ab und an Wien FJBf nur mehr Regional- und Eilzüge des Inlandverkehrs Richtung Krems an der Donau und Gmünd NÖ. Dazu kommt ein an Werktagen im 30 Minutenintervall verkehrender Pendler Wien - Tulln (bzw. Tulln Stadt), seit 1984 unter dem Schnellbahnliniensignal S40 verkehrend.



zur Startseite / Navigationsframe nachladen