Während der französischen Tramwayeuphorie wollten auch kleine Städte dem "Tramwayclub" beitreten, so stand der Leitspruch "Die Straßenbahn ist das Wahrzeichen der Städte des 21. Jahrhunderts“ stolz auf der Website der südfranzösischen Stadt Avignon. Im Oktober 2019, zwei Jahre nach Baubeginn, war es dann so weit, allerdings wurde das Projekt nach einem politischen Wechsel redimensioniert: Von den ursprünglich geplanten zwei Linien mit zusammen 14 Kilometern blieben 6 Kilometer übrig, die mit zwei Buslinien ergänzt werden. Die Ausgaben verringern sich damit von 250 auf 117 Millionen Euro; allerdings hat man 24 Straßenbahnwagen bestellt, von denen nun nur 10 benötigt werden... Damit ist man in einer ähnlichen Situation wie Aubagne, wo man heute das kürzeste Straßenbahn-"Netz" Frankreichs hat.
Avignon zählt knapp 100 000 Einwohner. Das ist deutlich mehr, als man denkt, vor allem wenn man sich hauptsächlich intra-muros, also innerhalb der noch vollständig erhaltenen Stadtmauern aufhält. Durch die flächendeckende Verkehrsberuhigung (grundsätzlich Begegnungszone, viele Straßen mit Poller nur für Anrainer befahrbar, viele enge Gassen und ein paar Fußgängerzonen) ist die Stadt dort so, wie man sich Stadt wünscht: Viele Menschen auf der Straße und de facto kein Verkehrslärm zu hören. Und in der Nacht machen vor allem Menschen Geräusche (manchmal Fahrräder, machmal Mopeds) – und dann man merkt deutlich, dass trotz Massentourismus noch viele Menschen in der Innenstadt wohnen.
Die Außenstadt hingegen ist nicht so kompakt. Während die Gebiete unmittelbar an der Stadt noch halbwegs städtisch wirken, geht es irgendwann in eine Mischung aus Plattenbauten und Straßenbauten, also in einem etwas dichteren Siedlungsteppich, über… Die Straßenbahn verbindet genau diese beiden Welten: Vom Bahnhof, der direkt an der Stadtmauer außen steht, geht es Richtung Südosten, wo die Linie bei einem Einkaufszentrum im Banlieu endet.
Das Straßenbahnnetz in Avignon hätte zu den vor ca. 10 Jahren langsam aufkommenden kleinen Netzen gehören sollen. Mit knapp 200 000 Einwohnern in der Stadtregion Grand Avignon (deswegen wird die Tramway auch als Tramway de Grand Avignon bezeichnet) liegt sie unter den »straßenbahntauglichen« Städten eher am unteren Rande. Während die Straßenbahn Valenciennes in der Hochzeit der neuen Straßenbahnnetze in Frankreich in den 2000er-Jahren noch gebaut und vor kurzem sogar ausgebaut wurde, war Avignon (genauso wie bei Aubagne) ein wenig zu spät dran: Eine Kommunalwahl kam dazwischen, die neugewählte Bürgermeisterin war gegen das Projekt, es wurde redimensioniert. Wäre es nicht schon in Bau gewesen, hätte man es wohl ganz abgedreht, wie in Artois-Gohelle.
Im Gegensatz zu den anderen »kleinen Netzen« Valenciennes, Aubagne und Artois-Gohelle ist und wäre die Straßenbahn in Avignon keine Dorf- oder Überlandbahn geworden. Dennoch stehen ähnliche Ideen hinter der Planung: Kleinere Fahrzeuge (Dreiteiler »Citadis Compact« mit 24 Meter Länge mit 41 Sitz- und 101 Stehplätzen), pragmatische statt dogmatische Planung (Mischverkehr mit dem MIV oder anderswo wie in Valenciennes eingleisige Abschnitte) sowie ein kleines Grundnetz mit zwei Linien, um die Grundinfrastruktur finanzieren zu können.
Während man in Aubagne versucht die hohen Kosten der Grundinfrastruktur (Depot etc.) durch eine Tram-train-Linie halbwegs zu retten, hat man sich in Avignon bereits vor der Eröffnung wieder besonnen: Eine zweite Linie (etwa 3 km) kommt 2023, die T1 wird gleichzeitig um eine Station umgelegt (intra-muros). Auch langfristige Ausbauprojekte stehen wieder im Raum.
Innen sind die Fahrzeuge zurückhaltend angenehm gestaltet. Die Doppeltüren hinter den Führerständen sind eine willkommene Verbesserung. Sonst zeichnen sich die Citadis Compact durch Fahrwerke mit durchgehenden Achsen und Primärfederung aus (von Alstom Ixège genannt). Diese sollten wohl auch bei höheren Geschwindigkeiten eine Verbesserung der Laufruhe bringen, wo die bisherigen Citadis eher ungut auffielen – auf einem Netz wie Avignon kann man das aber nicht wirklich beurteilen. Erstaunlich und auch in Avignon bemerkbar auf jeden Fall die Beschleunigung dieser kurzen Garnituren, die kurzen Citadis Compact haben genauso wie die ~35-Meter-Fahrzeuge mit 5 Modulen zwei angetriebene Fahrwerke.
Abgesehen davon ermöglicht die neue Konstruktion weniger Sitze auf Podesten: Waren in den Fahrwerksmodulen bisher alle Sitze auf Podeste, beschränkt es sich bei der neuen Citadis-Generation (auch als X05 bezeichnet) auf die Vierergruppe in der Mitte.
Die Kosten für das Projekt werden einerseits über Subventionen durch des Staat und die Region aufgebracht, andererseits über eine neue Transportsteuer, die von Unternehmen und Körperschaften mit mehr als 9 Mitarbeitern eingehoben wird.
Hier der ursprüngliche vorgesehene Netzplan:
Ausgeführt wurde nun nur die umrandete grüne Linie, der Rest ist zurückgestellt:
Derzeit beträgt der Anteil des öffentlichen Verkehrs am Gesamtaufkommen gerade mal 5% (zum Vergleich: Wien 35-40%). Bei Umfragen haben sich 76% der Befragten für den Bau der Tram ausgesprochen, 60% wollen sie künftig benützen.
Danke an Isaak Granzer für die Mitarbeit und die Fotos!
Tramway in Avignon (offizielle Seite)
Die Zukunft der Städte, Seite 156
Lage in Frankreich
zur Startseite / Navigationsframe nachladen
Copyright Harald A. Jahn / www.viennaslide.com
Letzte Änderung: 4.5.2020